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Montag, Oktober 13, 2025

Okkultismus, Reform und Moderne im Leopold Museum

FERDINAND HODLER, Blick ins Unendliche III, 1903/04 © Musée cantonal des Beaux-Arts de Lausanne. Erworben 1994 | Foto: MCBA/Lausanne

Das Leopold Museum öffnet mit seiner großen Herbstausstellung noch bis 18. Jänner 2026 ein Fenster in ein oft übersehenes Kapitel der Wiener Moderne. „Verborgene Moderne – Faszination des Okkulten um 1900“ widmet sich umfassend jenem spirituell-reformerischen Milieu, das um die Jahrhundertwende die Kunst- und Geisteswelt Wiens prägte.

Zwischen Wissenschaft und Sehnsucht

Um 1900 war Wien ein Labor der Moderne – elektrifiziert, industrialisiert und voller Widersprüche. Während Technik und Wissenschaft das Leben revolutionierten, suchten viele nach neuen spirituellen Wegen jenseits des Rationalen. Spiritistische Zirkel, theosophische Gesellschaften und reformerische Bewegungen formierten sich als Gegenentwurf zu einer als entfremdet empfundenen Gesellschaft. Die Ausstellung zeigt eindrucksvoll, wie eng Kunst, Mystik und gesellschaftlicher Wandel damals verflochten waren – und wie vertraut uns manche dieser Fragen heute wieder erscheinen.

Körper, Natur und neue Lebensformen

Die Ausstellung verknüpft die okkulte Strömung mit den vielfältigen Reformbewegungen der Zeit: dem Ruf „Zurück zur Natur!“, dem Aufblühen von Frauen- und Jugendbewegungen, dem Alpinismus, der Freikörperkultur und der Reformkleidung. Vegetarismus, Tanzreformen und neue Formen der Gymnastik spiegelten das Streben nach einem ganzheitlichen Leben wider. Dabei thematisiert die Ausstellung auch die Schattenseiten dieser Entwicklungen – etwa esoterische Ideologien mit völkischer Prägung.

Eine andere Moderne

Rund 180 Werke von etwa 85 Künstler*innen spannen den Bogen von den 1860er- bis zu den 1930er-Jahren. Neben Gemälden und Grafiken werden auch Fotografien, Plakate, Bücher, Manuskripte sowie ungewöhnliche Objekte wie Turngeräte und Kleidung präsentiert. Das Leopold Museum eröffnet so eine einzigartige Perspektive auf eine „andere Moderne“, die jenseits der bekannten Avantgarden zwischen Mystik, Reform und Kunst oszilliert.

Wer sich auf diese vielschichtige Reise zwischen Licht und Schatten, Wissenschaft und Magie, Moderne und Mythos einlässt, entdeckt nicht nur eine bislang verborgene Seite der Wiener Kulturgeschichte – sondern vielleicht auch überraschende Parallelen zur Gegenwart.

Die Ausstellung im Überblick

Zu Beginn laden Hans Canons Kreislauf des Lebens und Adolf Hirémy-Hirschls monumentales Die Seelen am Acheronzur Reflexion über Werden und Vergehen ein. Von Richard Wagner und Friedrich Nietzsche inspiriert, suchten viele Künstler*innen nach einer neuen, fast religiösen Rolle der Kunst.

Eine zentrale Figur ist Karl Wilhelm Diefenbach – Maler, Lebensreformer und Pionier der Freikörperkultur. Mit seinen Anhängern wie Fidus oder František Kupka propagierte er ein naturverbundenes, freies Leben – und prägte damit auch die avantgardistische Kunst der Zeit.

Die Auswahl der Werke beleuchtet ebenso die esoterischen Zirkel rund um Helena Blavatsky, Friedrich Eckstein und Marie Lang, die in Wien alternative Formen von Spiritualität und Gleichberechtigung erprobten. Neben Lichtgestalten zeigt die Ausstellung aber auch dunkle Seiten des Okkultismus – etwa völkische Irrwege, die später in ideologische Abgründe führten.

Spiritismus, Hypnose, Trancezeichnungen und Geisterfotografien erzählen von der Faszination für unsichtbare Welten, während Künstler wie Edvard Munch, Egon Schiele und Oskar Kokoschka das Innere des Menschen als leuchtende Aura darstellten. Schließlich führt die Schau in die Abstraktion: Werke von Kupka, Kandinsky und Itten zeigen, wie das Unsichtbare zur Geburtsstunde der modernen Kunst wurde.

Ein Höhepunkt ist Ferdinand Hodlers Blick ins Unendliche – Sinnbild des „neuen Menschen“, der über alle irdischen Grenzen hinauswächst.

INFO
Laufzeit: bis 18. Jänner 2026
Mehr Infos: www.leopoldmuseum.org

Carla Hoffmann
Carla Hoffmann
Redakteurin Vormagazin

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