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Mittwoch, November 26, 2025

GULLIVERS GROSSE GESTE: Ein Musical mit Wumms, Witz und Wunder

Beitragsbild: © Tommy Hetzel

Mit Beginn dieser Spielzeit lebt im Burgtheater eine lange vermisste Tradition wieder auf: Das große Familienstück erobert erneut die Hauptbühne – und das mit einem Stoff, der nicht nur Generationen verbindet, sondern auch auf überraschende Weise zeigt, wie aktuell Klassik sein kann. Nils Strunk und Lukas Schrenk, das Regieduo, das zuletzt mit Die Zauberflöte und Schachnovelle das Publikum begeisterte, bringen eine musikalische Bearbeitung von Gullivers Reisen auf die Bühne. Sie lesen eine Kritik von Dr. Ursula Scheidl.

Die Neuproduktion beeindruckt mit furioser Musik und überbordender Fantasie. Doch gerade dort, wo die Inszenierung Verbindungen schaffen will, verliert sie sich in einer allzu opulenten Geste – und macht damit ungewollt sichtbar, wie schmal der Grat zwischen Kunst und Künstlichkeit sein kann.

Ein Klassiker, der mehr kann als Kinderbuch

Gullivers Reisen kennt man – glaubt man. Oft als Kinderbuch vermarktet, wird Jonathan Swifts Roman im deutschsprachigen Raum gerne auf die Abenteuer des winzigen Lilliput reduziert. Doch Schrenk und Strunk erinnern daran, dass der Text im Kern eine scharfsinnige Satire ist: ein Spiegel, der unserer Welt ihren Wahn, ihre Eitelkeiten und ihre Absurditäten vorhält. Die Regie setzt genau hier an: Die berühmten Stationen – Lilliput und Brobdingnag, das Land der Riesen – werden mit viel Fantasie und humorvoller Überzeichnung erzählt. Aber die weniger bekannten Episoden, etwa die Begegnung mit der exzentrischen fliegenden Insel Laputa oder den vernunftbegabten sprechenden Pferden, öffnen das Stück in jene Richtung, die Swift eigentlich intendierte: eine Reise durch Gesellschaftsmodelle, Weltbilder und menschliche Verblendungen, die auch heute noch aktuell sind.

Mit einem Paukenschlag beginnt der Abend

Drei Decks, ein riesiger Schiffsquerschnitt, mehr als 30 Matrosen, die sich durch die Szenerie wuchten. Bühnenbildner Maximilian Lindner lässt hier keine halben Sachen gelten. Es ist ein gewaltiges Bild, das Staunen erzeugt – und gleichzeitig irritiert. Denn die verbindenden Passagen, die als dramaturgisches Scharnier zwischen den vier Episoden dienen sollen, stehen in keinem Verhältnis zu dieser visuellen Überwältigung. Sie sind für den Fortgang der Handlung kaum von Belang, und das groß angelegte maritime Spektakel wirkt wie ein Aufwand, der nicht der erzählerischen Notwendigkeit entspricht.

Musikalisch hingegen zeigt sich Gullivers Reisen in Bestform.

Wenn schon Musical, dann richtig! Die sechsköpfige Band unter der Leitung von Nils Strunk liefert einen Klangteppich, der mal schillernd, mal kraftvoll, mal zart, aber immer präzise daherkommt. Man fühlt sich stellenweise an die majestätische Wucht von „Der König der Löwen“ erinnert. Besonders der Song „Wollt ihr die Riesen sein?“ bleibt noch lange nach der Vorstellung im Ohr – ein seltener Glücksfall in einem Genre, das oft auf schnelle Effekte statt auf melodische Nachhaltigkeit setzt.

Dazwischen wird viel erklärt – manchmal etwas zu viel. Doch angesichts der schillernden Schauplätze, die vom Land winziger Menschen über die Welt der Riesen bis hin zu einer fliegenden Insel und sprechenden Pferden reichen, ist die Dramaturgie verständlich. Der Ton bleibt stets spielerisch, die Inszenierung balanciert zwischen Parodie, Abenteuerlust und sanfter moralischer Belehrung.

Die Schauspieler präsentieren sich durchwegs energiegeladen und vielseitig; trotz des stark durchinszenierten Bühnenbilds und der ausgeprägten Musical-Elemente gelingt es dem Ensemble, darunter Lola Klamroth, Dietmar König, Annamária Láng und Rebecca Lindauer, das Publikum mitzunehmen und den satirischen Kern der Vorlage spürbar werden zu lassen. Gunther Eckes gibt dem „echten“ Gulliver eine eindrucksvolle Mischung aus staunender Offenheit und sprachlicher Präzision. Mit spürbarer Empathie führt er die Figur überzeugend durch die Vielzahl unbekannter Welten. Herausragend ist Martin Schwab, der als „alter“ Gulliver einen eindrucksvollen Schlusspunkt setzt: Das alles seien „rrrreine Tatttsachchchen!“, sagt er als mitmischender Autor Swift am Ende. Seine leicht melancholische und reflektierende Interpretation macht den satirischen und gesellschaftskritischen Kern des Abends besonders greifbar.

Gullivers Reisen ist ein Abend voller Energie und musikalischer Klasse. Geeignet ist das Stück für alle von 8 bis 99 Jahren – und für jene ab 99 gilt sogar: Eintritt frei – ein charmantes wie humorvolles Detail, das den spielerischen Geist dieser Produktion bereits vorweg verrät.

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