Weil Hitler Mussolini brauchte, verriet er die deutschsprachigen Südtiroler – obschon er überall sonst in Europa Deutschsprachige „heim ins Reich“ holte. In Italien sollte fortan nur noch italienisch gesprochen werden, wer wollte, konnte das Angebot der Nazis annehmen und sich im deutschen Reich ansiedeln.
In Sepp Malls Roman „Ein Hund kam in die Küche“ verlässt eine südtiroler Familie ihren Heimatort und wird zunächst in Oberösterreich angesiedelt. Vater muss sowieso bald einrücken, aber es gibt noch ein weiteres Problem. Der jüngere Sohn Hanno ist aufgrund Komplikationen bei der Geburt behindert, er kann nur schwer gehen und sprechen. Unter dem Vorwand, ihn besser fördern zu können, muss er beim Eintritt ins Reich in ein Heim bei Innsbruck zurückgelassen werden. Beim Lesen wird schnell klar, dass es sich um ein Euthanasie-Heim handelt. Mall erzählt die tragische Geschichte aus der Sicht des zuerst 11jährigen zweiten Sohns, der zu seinem Bruder eine besondere Liebe entwickelt hat. Und er schafft immer wieder Bilder, die sich ins Gedächtnis brennen: Ein verendeter Hirsch im Wald wird zur Metapher des Leides.
Der jugendliche Ich-Erzähler findet überall, wo die Familie in ihrer Odyssee landet, einen Freund, eine Freundin. Und immer wieder besucht ihn auch sein inzwischen als an einer „Lungenentzündung“ verstorben gemeldeter Bruder Hanno. Sozusagen als Geist. Wer da nicht gerührt ist, hat kein Herz, gerade weil der Autor eben nicht klischeehaft oder auf Gefühle hinzielend schreibt. Dadurch entwickelt der Text eine ungeheure Wucht, der man sich kaum entziehen kann.
Naxh Ende des Krieges kehren die Mutter und der jetzt 14jährige Erzähler wieder nach Südtirol zurück – sie passieren illegal die Grenze. Natürlich ist dort alles anders und als der Vater gebrochen aus dem Krieg kommt und zu trinken beginnt, ist es schwer, sich für die Familie eine bessere Zukunft vorzustellen. Der Roman ist zurecht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises.
Sepp Mall: Ein Hund kam in die Küche
Leykam
192 Seiten
€ 25,50