Im Roman „Wir, die Überlebenden“ von Tash Aw erzählt ein zum Mörder Gewordener vom Arbeitsalltag in Malaysia.
Liest man heimische Zeitungen könnte man meinen, alle Abgehängten dieser Welt würden nach Europa kommen und unseren Arbeitsmarkt überschwemmen. Tatsächlich finden die wirklich großen Migrationsbewegungen anderswo statt. Etwa in Asien, wo es klare Abstufungen des Elends in Ländern wie China, Indien, Bangladesch, Indonesien, Thailand und Malaysia gibt. Zwischen diesen Staaten findet ein meist illegaler Austausch von Arbeitskräften statt, die oft für nicht viel mehr als ein bisschen Essen und ein Wellblechdach über dem Kopf in der sengenden Sonne schuften. In Malaysia, wo Tash Aws Roman „Wir, die Überlebenden“ spielt, gibt es zusätzlich noch den Stadtstaat Singapur, der mit seinem unglaublichen Wohlstand sozusagen das Maß aller Dinge ist und für viele aus Malaysia das unerreichbare Ziel ihrer Wünsche darstellt.
Die Hauptperson des Romans – Ah Hock – ist chinesischer Abstammung und wächst an einer kleinen Küstenstadt auf, die vom Fischfang und immer mehr von der Palmölindustrie lebt. Er ist ein Außenseiter, lebt bei seiner Mutter und beide haben nicht viel zum Leben. Wie der Leibhaftige kommt aber plötzlich ein älterer Mitschüler in sein Leben – Keong ist der typische kleine Gangster, der schon in der Hauptstadt Kuala Lumpur auf dem Weg zur kriminellen Karriere eingeschlagen hatte, ehe seine Mutter ihn jäh in eine Kleinstadt verfrachtete um ihn vor dem endgültigen Abrutschen in die Kriminalität der Millionenmetropole zu bewahren. Gemeinsam leben sie dann aber nach der Schule wieder in KL wie Kuala Lumpur im Buch genannt wird, Ah Hock verdingt sich als Kellner, Keong verfolgt weiterhin eher erfolglos halbseidene Geschäfte.
Als Ah Hock in seiner kleinen Heimatstadt eine gute Anstellung als Aufseher und Mädchen für alles in einer Fischzucht findet, ist er froh, Keong nicht mehr sehen zu müssen. Er heiratet sogar und kann sich ein kleines Häuschen leisten. Doch als alle Arbeiter plötzlich während der Abwesenheit des chinesischen Chefs erkranken und die Fischzucht zu verrotten droht, trifft sich Ah Hock wieder mit Keong und das Unheil nimmt seinen Verlauf. Keong verspricht, Arbeiter aufzutreiben, bei einem Treffen mit einem weiteren Vermittler kommt es aber zu einem Streit und Ah Hock erschlägt den Mann aus Bangladesch um Keong zu retten mit einem Stock. Der Roman setzt ein, als Ah Hock bereits seine Gefängnisstrafe abgesessen hat und höchst bescheiden wieder in seiner Heimatstadt lebt, wo er der aus New York nach Malaysia zurückgekehrten Dissertantin Su-Min sein Leben erzählt. Geschickt deutet Tash Aw auch Su-Mins Schicksal in einer besseren Familie an. Sie kann studieren, erträgt aber die Korruption und die Ungerechtigkeiten in ihrer Heimat nur schwer, während sie Ah Hock als völlig normal empfindet.
Tash Aw selbst konnte als Sohn malaysischer Eltern in Großbritannien studieren und lebt inzwischen in der Provence, wo er neben seiner schriftstellerischen Arbeit auch für die NYT und die BBC schreibt. Seine Sprache wirkt nüchtern, aber immer treffsicher. So kann er die Welt, in der Menschen nur im Stück gezählt werden und es keine soziale Absicherung für Arbeitskräfte gibt, in ihrer Brutalität schonungslos abbilden. Ein wichtiger Roman, der uns erlaubt, über den Tellerrand zu blicken.
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Tash Aw: Wir, die Überlebenden
Aus dem Englischen von Pociao und Roberto de Hollanda
Luchterhand
ISBN: 978-3-630-87623-8
416 Seiten
€ 24,70