Bild: ©Carina Antl
Ein Schlagwort, das dem aufmerksamen Medienkonsumenten dieser Tage recht prominent begegnet, lautet „Overtourism“. Neudeutsch für die Steigerungsstufe des Massentourismus beschreibt es die sämtliche Kapazitäten sprengende Überflutung beliebter Städte und Landstriche durch Besucherströme. Heimische Hotspots wie das historische Hallstatt, die Stadt Salzburg, die Weltkulturerbe-Region Wachau oder die Wiener City können davon ein Liedchen trällern.
Tagtäglich selbst in der Wiener Innenstadt unterwegs, erlebe ich das touristische Gewurl quasi erste Reihe fußfrei. Seltsam verrenktes Instagram-Gepose vor der Pestsäule, Prozessionen an beigen Kakihosen und Multifunktionsgilets, die wie hypnotisiert fuchtelnden Fremdenführer-Wimpeln in Leuchtfarben folgen. Zuweilen ist es mühsam, wenn man nur g’schwind vom Graben zum Stephansplatz will, um sich sein Mittagspausen-Käsesemmerl zu besorgen und statt fünf Minuten satte fünfundzwanzig liegen lässt. Und zugegeben, die Tonalität des Begehrs nach einem Passage-Korridor rangiert je nach Tagesverfassung zwischen höflichem Räuspern und händeringendem „Oida, mochts Meter!“. Aber irgendwie geht’s immer. Ob mit Wiener Charme-Mascherl versehen oder im Grantscherb’n-Duktus – der homo touristicus versteht zwar meist nicht im Detail, was der Wiener da so von sich gibt, den internationalen Morsecode der Körpersprache weiß er aber dann doch recht gut zu dechiffrieren. Spätestens beim ersten Zähnefletschen fällt der Groschen. Einheimische mit Schaum vor dem Mund hält sich der Tourist von heute unter Zuhilfenahme seines Selfiesticks vom Leib, kleines Traveller-Einmaleins.
Aber bitte, verstehen Sie mich nicht falsch! Dass Wien und sein Charme – mal raubeinig, mal zuckerlsüß – Besucher*innen aus aller Welt anlockt, find ich richtig schön. Und nur allzu verständlich, denn Wien ist einfach leiwand. Ich bin selbst gern Gast in „meiner“ Stadt – schlendere durch den Prater, besuche die Kaisergruft oder das Kunsthistorische Museum, genieße die Aussicht am Donauturm oder erklimme die 343 Stiegen ins Türmerstüberl zu St. Stephan. Das volle Touri-Programm. Gekrönt vom Besuch meiner liebsten Wiener Institution: dem Kaffeehaus. Ein Kipferl und einen Mokka im Ersten, da hüpft das Herz. Und manchmal gönnt man sich einen „Fiaker“ (den Kaffee, nicht die Kutsche).
Apropos: Unlängst saß ich in meinem „Sommerbüro“ im Volksgarten – Baum Nummer drei auf der dem Bundeskanzleramt zugewandten Seite –, als ich das vertraute Geräusch näherkommender Hufe auf Asphalt vernahm. Jener Fiaker (der Kutscher, nicht der Kaffee) erklärte seinen Fahrgästen die Gegend; auf meiner Höhe angekommen deutet er schließlich gen Ballhausplatz und raunt lapidar: „Nur, damit Sa si auskennan – des do hinten is des Burgtheater, des do vurn is des Kasperltheater!“ Kulturvermittlung à la viennoise.
Barbara Kaudelka ist Schauspielerin, Tonstudiosprecherin und Medienmensch.