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Freitag, November 22, 2024

Unser Weg zum Cloud-Kapitalismus – Interview mit Armin Thurnher

Armin ­Thurnher mit ­seinem durch die Seuchen­kolumne ­berühmt gewordenen, in­zwischen verstorbenen, Kater in seinem Haus im Waldviertel. – ©Irena Rosc

In seinem neuesten Buch „Anstandslos – Demokratie, Oligarchie, österreichische Abwege“ arbeitet Falter-Herausgeber Armin Thurnher die Ära von Sebastian Kurz auf. Am 19. Mai wird er es beim Literatur-Event „Rund um die Burg“ präsentieren.

Von Helmut Schneider

Geboren 1949 in Bregenz, kam Armin Thurnher zum Studium nach Wien und gründete 1977 mit Walter Martin Kienreich die linksliberale Wochenzeitschrift Falter, deren Ausrichtung er maßgeblich prägte, ab 2012 als Herausgeber. Seit Beginn der Pandemie schreibt er einen täglichen Blog namens „Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt“, in dem er vor allem die österreichische Innenpolitik kommentiert und in dem bis zu dessen Tod auch sein Kater regelmäßig als Ezzes-Geber auftrat. Mit „Anstandslos – Demokratie, Oligarchie, österreichische Abwege“ erschien vor kurzem eine Abrechnung mit der Regierung von Sebastian Kurz, die unter Korruptionsverdacht steht.     

vormagazin: Alle, die Politik beobachteten, konnten live erleben, wie Kurz und Sobotka die Regierung mit Kern, deren Mitglieder sie waren, sabotierten. Wieso hat da niemand Alarm geschrien?

Armin Thurnher: Weil die Medienlandschaft, von der es zwar immer heißt, sie stünde unter einer linken Hegemonie, die in Wirklichkeit aber fest in konservativer Hand ist, das unterstützt hat. Verschiedene entscheidende Akteure waren begeistert, dass die Schwarzen endlich einen Stimmenbringer mit einer gewissen Ausstrahlung hatten. Denn bis zu diesem Zeitpunkt waren das immer die anderen: Kreisky und Vranitzky oder die Blauen mit Haider und sogar der dumpfe Strache hat noch Stimmen angezogen. Plötzlich war einer da, der die Wähler auf die schwarze Seite gezogen hat. 

Halten Sie die Medien tatsächlich noch für so mächtig? 

Ja, denn wenn alle geschrieben hätten, Kurz ist ein sprechblasentrainierter Maturant und seine Behauptungen über Silberstein und die Balkanroute sind falsch, wäre es anders ausgegangen.  

Das gilt dann wohl international, denn Trump hätte es ohne Fox News vielleicht auch nicht gegeben, oder?

Nicht nur nicht ohne Fox, sondern auch nicht ohne die New York Times, denn Medien sind nun einmal begeistert von Menschen, die Aufmerksamkeit generieren. Totschweigen ist im Medienzeitalter keine reale Möglichkeit. Aber natürlich muss zuerst etwas da sein – bei Kurz etwa sein Wille zur Macht und der Wille, die ÖVP auf einen neuen Kurs zu bringen. Die ÖVP war ja bis dato immer zerrissen und hat mit zig Stimmen gesprochen. Und da gab es dann einen, der gesagt hat: Entweder ihr nehmt mich und lasst mich mit harter Hand regieren oder ihr bleibt weiter unter 20 Prozent. Diese Drohung hat funktioniert. Bei Trump war es ganz ähnlich. Beide haben aber auch einen stark ausgeprägten opportunistischen Kern.

Kurz hat dann seine Regierung wie einen Mafia-Clan geführt mit ihm als Paten. Alle anderen waren seine Soldaten. Die Beamten hat er mit seinen Generalsekretären kaltgestellt.

Ja – alle Ministerien haben nur noch das wiedergegeben, was die Zentrale Kurz ausgegeben hat. Interessanterweise hat das alle fasziniert, statt dass das kritisiert worden wäre. 

Sie schreiben „Die Lüge gehört zum politischen Geschäft wie der Pool zur Hollywoodvilla“ – was war also an den Lügen von Kurz anders?

Gar nichts, er hat seine Karriere mit der Lüge, dass er so unglaublich populärer ist als Mitterlehner, begonnen – was er dann mit den gefälschten Umfragen untermauert hat. Das war insofern wahr, als er tatsächlich populärer war – aber er hat das so übertrieben, dass es dann doch wieder eine Lüge war. Das Interessante daran ist, dass es egal gewesen wäre, wenn man das damals schon gewusst hätte. Das ist so wie bei Trump. Seine Anhänger entschließen sich, ihm alles zu glauben, und wollen das gar nicht auf seinen Wahrheitsgehalt überprüfen. Sie sagen, es lügen sowieso alle, und da ist mir mein Lügner lieber als deiner.

Nach den Chats von Schmid, die der Öffentlichkeit bekannt sind, müsste inzwischen ja eigentlich alles klar sein …

Ja, nach den Chats müsste moralisch alles klar sein und ich verstehe auch nicht, wie man sagen kann, dass das private oder intime Inhalte sind. Die wirklich intimen Inhalte wurde ja zu Recht beiseite geschoben. Aber in den bekannt gewordenen Chats geht es um öffentliche Geschäfte – etwa wie die Reichen bevorzugt werden. Das sind Texte, die gehören in Steintafeln gemeißelt vor dem Parlament als Mahnmal aufgestellt.

Leider erhält man dieser Tage das Gefühl, als wären die Demokratien weltweit in Gefahr, angefangen mit dem Brexit, dann Trump, Orbán und zuletzt Kurz-Freund Netanjahu. Warum eigentlich, es gibt ja keine Hungerrevolten oder Ähnliches?

Es besteht eine brisante Kombination aus der neuen Social-Media-Situation und dem relativen Wohlstand, der vieles mit einem Wurstigkeits-Gefühl überzieht. So lässt man Dinge aus dem Ruder laufen. Die Social-Media-Situation schafft wiederum die idealen Voraussetzungen für einen neuen Irrationalismus. Der war zwar immer da, kommt aber heute viel leichter an die Oberfläche. Die neuen Medien generieren zudem eine neue Art von Überwachungs oder Cloud-Kapitalismus. Fast alle nehmen an etwas teil, von dem sie gar nicht so genau wissen, was es ist. 


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