In einem Bereich dieses Einkaufszentrums, der zwischen einer Parkgarage und der Verkaufsebene lag, präsentierte der Künstler 30 Ölgemälde. Mehrmals täglich wurden die Kunden des Einkaufstempels via Lautsprecher zwischen der Bekanntgabe von Sonderangeboten und der kaufmotivierenden Musik auch zum Besuch dieser Ausstellung eingeladen. Diese Erfahrung der Di fferenz zwischen der ästhetischen Dimension der ausgestellten Kunstwerke und dem opponierenden, profanen Geschäftsraum brachte Reinhold Zisser dazu, sich in seinen folgenden Arbeiten mit dem Verhältnis von Bild und Abgebildetem sowie Bildraum und architektonischem Raum auseinanderzusetzen. In der geläufigen Verwendung zeigten sich ihm diese als leere Referenz, in die alle möglichen, potenziellen Informationen eingeschrieben werden konnten. Diese Fragen beschäftigten Reinhold Zisser auch während seines Studiums an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Die Abschlussarbeit mit dem Titel „Ikon present“, die der Künstler im Jahr 2013 in der Diplomausstellung präsentierte, beschreibt er wie folgt: „Das Fleisch bietet sich nicht mehr an. Dem Fleisch wird gegeben. – Spritze.“ Das mit diesem Zitat gemeinte Objekt ist eine Kugel aus Einwegspritzen, deren Spitzen auf den Betrachter weisen. Der Kunstgegenstand ist in diesem Falle nicht mehr nur „Gegenstand“ des Blickes, sondern zugleich Ausgangspunkt einer physischen Wirkung, die auf den Betrachter zielt. Den Betrachter tri fft ein Impuls, dieses Objekt aus Spritzen nicht zu berühren. Diese Empfindung der Gegenwart des Gegenstandes markiert zugleich den Abstand des Betrachters von demselben. Dieses Paradox von Zugänglichkeit und Verweigerung, Sichtbarkeit und Entzug findet sich als Problem in der gesamten abendländischen Kunstgeschichte. Johannes Damascenus formulierte dies folgendermaßen: „Wie soll man eine Ikone, die das Unsichtbare zum Thema hat, herstellen, und wie soll man zeichnen, was weder Umfang noch ein Maß noch eine Grenze noch eine Gestalt hat?“ Dieses Unsichtbare im Sichtbaren blieb der bildenden Kunst ein Problem, auch wenn es zeitweise verdrängt werden konnte. Spätestens in den Arbeiten von Kasimir Malewitsch, vorzüglich in dessen Bild des Schwarzen Quadrats von 1913, holt dieses unaufgelöste Moment der Bildkonstruktion die Kunst der Zeit wieder ein. Die Werke von Reinhold Zisser zeigen die ungebrochene Wirksamkeit dieses Themas auch in der gegenwärtigen Kunst. Nach den Ausstellungen in der Ankerbrotfabrik im Loft 8, auf der Parallel Vienna, auf der Viennafair in Kooperation mit dem Roten Teppich für junge Kunst, im Red Carpet Showroom und in der Ho fburg im Rahmen des Projekts „Ho fburg: Ein Stück (Kunst-)Geschichte!“ kann eines der neuesten Spritzen-Objekte von Reinhold Zisser im Foyer der Urania ab November besichtigt werden.