Beitragsbild: © Volksoper
Killing Carmen feierte in der Wiener Volksoper Premiere – eine Produktion, die mehr ist als nur eine Neuinterpretation von Bizets Klassiker. Hier lesen Sie eine Kritik zum Stück von Dr. Ursula Scheidl.
„Man hat mich schon gewarnt, dass ich um mein Leben bangen müsse“, erklärt Carmen – ihr eigenes Unheil voraussehend – im Finale von Bizets „Oper aller Opern“. Wenige Minuten später ist sie tot, erstochen – in dieser Inszenierung erschossen – von ihrem gerade noch Geliebten Don José. Beziehungstat oder Gesellschaftskrise? Stirbt mit Carmen die Freiheit an sich? Welche Lücke hinterlässt sie? Wie geht es weiter?
Nach ihren beiden Erfolgsproduktionen Die Zauberflöte – The opera but not the opera und Schachnovelle am Burgtheater bearbeiten Nils Strunk und Lukas Schrenk nun auch für die Volksoper einen Repertoire-Klassiker. Gemeinsam mit dem Musiker Gabriel Cazes entwickeln sie eine Neubearbeitung von Carmen für ein genreübergreifendes Ensemble mit Katia Ledoux in der Titelrolle.
13 Jahre sind vergangen, Don José steht vor der Hinrichtung, und die Figuren kehren zurück – in Erinnerungen, Vorwürfen, in Schmerz, Sehnsucht und Verklärung. Einige Momente – etwa Rückblenden, in denen frühere Szenen erneut durchlebt werden – erzeugen sehr starke emotionale Bilder. Manchmal könnte man sich wünschen, dass diese Szenen mehr Raum bekommen. Die Inszenierung ist ambitioniert, doch der Versuch, viele Themen und Perspektiven unterzubringen, bringt gelegentlich das Risiko mit sich, dass einzelne Stränge nicht zur vollen Entfaltung kommen.
Bizets bekannte Melodien werden nicht bloß zitiert, sondern mit Jazz, Flamenco, Pop, Musical, Chanson und auch Western‑Elementen verwoben. Diese Vielfalt verleiht dem Abend Frische, Bruch und zugleich tiefe Emotionalität.
Starke Hauptrollen
Insgesamt präsentiert sich das Team stimmlich und schauspielerisch sehr stark: Katia Ledoux als Carmen ist nicht die verführerische Femme Fatale im herkömmlichen Sinne, sondern ein komplexer Charakter – mit Stolz, Verletzlichkeit und einer Freiheit, die sie nicht aufgibt, selbst nach dem Tod. Anton Zetterholm als Don José liefert eine überzeugende Gegenspielerrolle, die über Schuldgefühle und Erinnerungen reflektiert. Julia Edtmeier glänzt sowohl als Micaela als auch als Banditenchef Dancairo und Stefan Cerny ist ein kraftvoller Toreador, der am Ende als gebrochener Mann dasteht.
Killing Carmen ist keine einfache Reminiszenz an einen Opernklassiker, sondern ein mutiger Versuch, das Stück weiterzudenken – mit all seinen Schattenseiten, aber auch mit seiner nachhallenden Kraft. Wer erwartet, etwas völlig Neues zu sehen, wird überrascht: Es gibt vertraute Motive, aber sie sind umkomponiert, umgedeutet, lebendig gemacht. Für Opernliebhaber und Neulinge gleichermaßen ist dieser Abend eine Einladung, Carmen nicht nur zu hören – sondern sich mit ihr auseinanderzusetzen.
INFO
volksoper.at




