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Barbara Kaudelka über Schmetterlinge im Bauch.
„Traust di nie“, johlte das feiste Gesicht des Volksschul-Rowdys, während sich der Regenwurm zwischen seinen Fingern nur Zentimeter vor meiner Kindernase kringelte. Stimmt, ich hab mich nicht getraut. Er sich übrigens auch nicht. Fast forward in die späten 1990er: Wien erlebte gerade die erste Sushi-Welle, für den Austro-Gaumen eine exotische Neuheit aus Fernost. Wer sich über rohen Fisch auf Reisbatz drübertraute, bewies Cojones. Die Speisekarte eines Australian Pubs im ersten Bezirk versprach Draufgänger-Menüs: Krokodilfleisch, Schlange, Känguru und: gegrillte Heuschrecken! Hier trennte sich die Spreu vom Weizen. Galt man nach erfolgreicher Sushi-Performance als Abenteurer, war man nach dem Insekten-Snack praktisch Crocodile Dundee himself. Diesmal hatte ich mich getraut. Unvergessen der schockierte Blick meiner Eltern, als ich von jener glorreichen Gourmet-Episode erzählte. Ähnlich gestalten sich aktuell Reaktionen auf den EU-Entscheid, der künftig die Verwendung von Hausgrillen und Getreideschimmelkäferlarven in Lebensmitteln erlaubt. Im Empfinden einiger Mitmenschen ist hier gewaltig der Wurm drin. Dabei ist es für zwei Milliarden Menschen weltweit Usus, dass Insekten als tägliche Nahrungsquelle am Teller landen. Ich weiß noch, wie ich das erste Mal auf einem Street Food Market in Bangkok eine kross frittierte Tarantel feilgeboten bekam und wie ich von selbiger gestochen die Flucht ergriff. Ich gehöre zur Sorte der kulinarisch experimentierfreudigen Touris; saß in schummrigen Garküchen Hongkongs, bestellte quer durch die chinesisch beschriftete Speisekarte und weiß bis heute nicht, was ich dort alles gegessen hab. Aber bei Knusperspinne und Grillskorpion gibt selbst Dundee w. o.! Faszinierend jedoch, dass über 2.100 Insektenarten als essbar klassifiziert sind, darunter 362 Raupenarten, 37 Fliegen und satte 659 Käferarten. Zahlreiche Ameisen, Schmetterlinge, Würmer, Bienen und Wanzen sind Speiseinsekten. Finden Sie grauslich? Dann hab ich lausige News: Hinter der drögen Bezeichnung E120 verbirgt sich der rote Farbstoff „Karmin“, mit dem die Lebensmittelindustrie Gummi-Naschereien oder auch M&M’s aufpeppt. Er wird aus gekochten Schildläusen gewonnen, ebenso wie „Schellack“, ein harziges Laus-Sekret, das etwa Kaubonbons oder Schokolade ihr glänzendes Finish verleiht. Auch, wenn der Insektenverzehr bei uns nicht im selben Maß in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist wie in Asien oder Afrika, so ist er doch kein absolutes Novum. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurde in Deutschland noch Maikäfersuppe kredenzt. Und ja, es ist genau das, wonach es klingt. In Konditoreien wurden die Käferchen sogar kandiert verkauft. Was mich gedanklich zurück zur Bruzzelspinne befördert. Brrr! Auf den Schock erstmal ein Stamperl … Einen Mezcal vielleicht? Jössas, da schwimmt ja eine Raupe drin!
Barbara Kaudelka ist Schauspielerin, Tonstudiosprecherin, Medienmensch und vormagazin-Kolumnistin.
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