©Carina Antl
Herrschaftszeiten! Des gibt’s doch ned! Ich hab das Trum doch gestern noch … oder war das letzte Woche? Ich weiß genau, ich hab damit … wo zum Geier… hmpf, des is jetzt oba a bissl gschi…“. Solche und artverwandte innere Monologe pflegte ich bereits zu Schulzeiten zu führen. Behandelte das spontane Hirnvakuum damals noch Profanes wie Chemiebuch, Zirkel oder Turnsackerl, so dreht sich der verwirrte Schweißausbruch heutzutage um Dinge wie Mobiltelefon (natürlich auf lautlos gestellt), Reisepass und Lesebrille. Oder aber die orangerote Mappe, in der sich die Zettelwirtschaft befindet, die ich meinem Steuerberater schon vor zwei Monaten hätte liefern sollen und zwar im Rahmen jenes Termins, den wir unter reumütigem Winseln meinerseits auf heute in exakt 35 Minuten (!) verschoben hatten. Aaaah!
„Mein Herz, du tätst sogar deinen Kopf vergessen, wenn er nicht angewachsen wär“, feixt es liebevoll aus dem Nebenzimmer. Captain Hindsight aka der Göttergatte ist um keinen Deut besser. Das erklärt den amüsierten Unterton. Ich schnaube empört (hauptsächlich, weil er recht hat), während ich weiter hysterisch in den Untiefen meines Büros wühle. Ich geb ja zu, ab und an befällt mich ein My Zerstreuung, hin und wieder purzelt eben was aus den Ganglien. Aber damit bin ich zum Glück nicht allein. Unlängst fiel mir ein Zeitungsartikel in die Hände, der die skurrilsten Dinge, die Österreich so in Taxis und Nahverkehr vergisst, auflistet. Neben Evergreens wie Handschuhen, Geldbörserln oder Regenschirmen, landen auch etwas ausgefallenere Gegenstände in den Depothallen der Fundbüros. Auf den Rückbänken von Uber-Fahrern werden gerne mal Waschbecken [sic!], Katzenklos, Tamagotchis, Röntgenbilder, Scheidungspapiere, Gebisse, Laserschwerter, Silikonimplantate, Weed-Sackerln oder Schildkröten zurückgelassen. Die „Ich habe etwas verloren“-Funktion der App fördert noch manch extra Kuriosität zutage: Sowohl Wein- als auch Bierflaschen werden in Wien häufig als vermisst gemeldet. Überraschung: meistens am Samstagabend.
Auch Musiker*innen haben schwache Momente. Das Lost & Found Service der ÖBB kann davon ein Liedchen singen: Allein im vergangenen Jahr wurden über 100 Musikinstrumente in den Zügen vergessen; von der Trompete bis zum Keyboard. Am häufigsten verzeichnete die Bahngesellschaft allerdings unfreiwillige „Gitarren-Solos“. Apropos! Allerhöchste Eisenbahn für mein Rendezvous mit dem Steuerberater. Da endlich, im hintersten Winkerl der Dokumentenkommode blitzt es orangerot auf, die Zettelwirtschaft ist geborgen. So, nun aber hurtig. Hinein in die Böck’, den Mantel übergeworfen, Abschiedsbusserl für den Liebsten; hoffentlich ist nicht viel Verkehr und ich krieg einen Parkplatz vor der Kanzlei … jetzt noch schnell die Autoschlüssel … Herrschaftszeiten! Des gibt’s doch ned! Ich hab das Trum doch gestern noch …
Barbara Kaudelka ist Schauspielerin, Tonstudiosprecherin, Medienmensch und vormagazin-Kolumnistin.
Bild: ©Michael Taborsky