Bild: ©Carina Antl
„Auaaa!“ Wie die stumpfe Klinge einer mittelalterlichen Streitaxt teilte mein Schmerzensschrei die Luft der Praxis. Ich röhrte die Pein meinem hochgeschätzten Heilmasseur T. entgegen. Also, gedanklich. Tatsächlich entwich mir nur ein Zischen durch die Zähne. Mehr Ninjastern als Axt.
„Genauuu da!“, navigierte ich die diplomierten Pranken, die meinem maroden Schultergürtel regelmäßig die Verspannungsflausen austrieben. Uff, die Streitaxt steckte heute tief im Trapezmuskel.
„Hat hier schon mal wer so geschrien, dass’d glaubt hast, dir bleibt das Herz stehen?“, feixte ich.
Mehr als Übersprungshandlung, meine Kinderstube verbot mir laut auszusprechen, was ich innerlich jenen Triggerpunkt hieß, den er gerade fachmännisch bearbeitete.
„Durchaus“, grinste T.: „Aber stehen bleiben spielt’s nicht – ich bin ja noch nicht vom Mond retour!“
Ahja. Kurz fragte ich mich, ob das tatsächlich Räucherkräuter waren, die da in der Schale am Schreibtisch vor sich hin glommen. Ein belustigtes Glucksen am anderen Ende der heilenden Hände, gefolgt von einer Wissensperle: „Schau, das Herz eines Menschen schlägt etwa 100.000 Mal am Tag. Dabei erzeugt es so viel Energie, dass man einen Lkw 32 Kilometer bewegen könnt! In 71 Lebensjahren ergibt das die Strecke zum Mond und zurück. Owa, so weit samma no ned!“
Sehen Sie, das mag ich so an meinem Heilmasseur. Er ist nicht nur ein Meister seines Fachs, er hat im Oberstübchen auch ein magisches Extrakabinett, reserviert für Funfacts und nerdiges Nischenwissen. Dieser Kerl schwingt weder Axt noch feine Klinge – er schlägt mich mit meinen eigenen Waffen. Und ich feier es!
Zur Erklärung: Ich bin ein Spätzünder im Club Knet. Mir selbst gefallend in der Neigungsgruppe „Zum Arzt geh ma nur am Zahnfleisch“, schubladisierte ich Massagen früher als Wellness-Firlefanz. Auch, weil ich in puncto Entspannung auf Knopfdruck ein echter Rohrkrepierer war. Bis mein Partner mich auf ärztliche Anordnung am Ohrwaschl zu T.s Massagetherapie schliff. Und obgleich die Erstbehandlung etwas von Akupunktur mit Stricknadeln hatte, kam ich freiwillig immer wieder. Midlifecrisis-Masochismus? Marienerscheinung? Mitnichten! T. hatte einfach sofort überzuckert, wie er meinen stur programmierten Wellness-Widerborst austricksen konnte: das ewig neugierige Kolumnistinnen-Hirn erst mit außergewöhnlichen Geschichten füttern, dann die Profifinger im Betonrücken versenken. Seine Erzählungen sind mein Ablenkungs-Lolli beim Kinderarztimpftermin. Veni, vidi, vici – auch diesmal war T. erfolgreich; Streitaxt entfernt, Trapez-Knoten futsch. Mit frisch ausfrisierten Faszien schälte ich mich vom Massagetisch. Und obwohl ich mich kurz fühlte, als hätte mich der Mond-Lkw angefahren, wusste ich: In meiner Herzensenergie-Fabrik hatten T. und sein G’spür für Mensch und Muskulatur ein ganz besonderes Platzerl.
Barbara Kaudelka ist Schauspielerin, Tonstudiosprecherin, Medienmensch und vormagazin-Kolumnistin.
Bild: ©Michael Taborsky