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Freitag, April 19, 2024

Der Mittelstürmer

Interview: Lydia Oswald und Christoph Langecker

Vor dem Auftritt der Toten Hosen in der burgenländischen Erdbeermetropole Wiesen im heurigen August, nahm sich Frontmann Campino Zeit für ein langes Gespräch mit dem vormagazin. Ursprünglich war vom Management ein Zeitfenster von 30 Minuten anberaumt gewesen, aber der Punk-Rocker gewährte uns eine ganze Stunde Audienz.

vormagazin: Wie haben Sie die Entstehungsphase Ihres neuen Albums „Laune der Natur“ empfunden?

Campino: Ich kann mich gar nicht mehr so genau erinnern. Sowas verblasst sehr schnell. Vielleicht ist das so ähnlich, wie wenn man eine Mutter fragt, wie die Geburt war. Die weiß das dann auch nicht mehr so genau. Hauptsache, das Baby ist da – und wenn es gesund ist, ist alles in Ordnung. Es mag von außen nicht so aussehen, aber Lieder zu schreiben und Alben rauszubringen, ist bei jeder Veröffentlichung anders. Es herrschen immer andere Bedingungen. Aber es gibt Phasen, da weiß man ganz klar, was man zu sagen hat. Allein, was sich politisch in der Welt tut, aber auch was man privat erlebt, was einen beglückt oder vielleicht eher traurig macht – all das fließt ja in die Arbeit ein.

Ihr ehemaliger Bandkollege Wolfgang Rohde alias Wölli ist verstorben. Auf der neuen Platte musizieren Sie bei „Kein Grund zur Traurigkeit“ noch mal gemeinsam. Sie haben sich auf die Suche nach alten Aufnahmen begeben. Wie ist es Ihnen emotional dabei ergangen?

Wir waren sehr traurig über seinen Tod. Dieses Herumstöbern in den alten Aufnahmen und das Auffrischen und das Neueinspielen haben uns aber auch Trost gespendet. Ich hoffe, dass wir seinem Umfeld dadurch ein kleines Geschenk machen konnten. Das war für uns die Priorität.

„Urknall“ ist der erste Song auf Ihrer neuen Platte. Da geht es um Ursprung und Wurzeln. Warum zieht es Sie dorthin?

Das Lied ist nicht so gemeint, dass wir versuchen, wieder die Jungs von 1982 zu sein. Wir meinen die Rückkehr zum Wesentlichen und zur Schlichtheit. Dabei geht es auch nicht darum, sich zu fünft in einen kleinen VW-Polo durchs Land zu schrauben, sondern eher darum, dass man versucht, den Pomp und das ganze Gewusel drum herum zu vergessen, um wieder zum Wesentlichen zu kommen. Weg von den Plattenverleihungen, zurück auf den Bolzplatz. Es geht um die Frage, wo eigentlich die Seele der ganzen Sache ist. Grundehrliche Locations wie Wiesen geben uns eine Antwort darauf.

Im Lied „Wie viele Jahre“ witzeln Sie über verschiedene Phasen, die Sie durchlebt haben. Vom Altbier zu den Biosnacks quasi. Inwieweit entspricht das der Realität?

Das ist natürlich mit einem lachenden Auge über uns selber gemeint, aber letztendlich steckt jede Menge Wahrheit dahinter. Man muss nicht bedauern, dass sich die Zeiten ändern. Ich genieße das Leben auf Tour genauso wie früher. Inzwischen schau ich mir aber auch mal die Städte an, in denen wir spielen. Das war früher anders, wir waren in einer Art Tunnel und zwischendurch hat‘s geschneit. Es herrschte Party, Chaos oder die totale Depression. Aber dann findet man auch andere Energien, die einem was bedeuten, andere Begegnungen auch außerhalb des Wahnsinns. Das ist von einer sehr anderen, aber doch sehr tiefen Schönheit.

Was kann das Instrument Sprache?

Sprache und Kommunikation sind eigentlich die großen Schlüssel zwischen uns Menschen. Wenn man einer Sprache mächtig ist, kann man mit ihren Nuancen alles retten, aber auch alles vergiften. Ich bin gerne mit Leuten zusammen, die sich ebenfalls für Sprache begeistern können, dann macht es Spaß, mit ihr zu jonglieren oder in Werken geniale Anspielungen oder Subtexte ausfindig zu machen. Ich bin ein Fan von Sprache.

Es macht den Anschein, dass Sie Wien und Österreich gerne mögen. Was ist der Grund dafür?

Da gibt es so viele Gründe. Zunächst einmal bin ich als kleiner Junge schon von meinen Eltern regelmäßig nach Österreich mitgenommen worden. Mein Vater fuhr begeistert Ski und wir waren immer in Kärnten auf der Gerlitzen in einem Hotel in den Bergen. Es gab keine Straße da hoch, nur eine Gondel. Am Kiosk kaufte man noch eine Packung Manner Schnitten und dann war man zwei Wochen in der Einöde. Das war meine erste Erfahrung. Später als Jugendlicher hat mich die Stadt Wien einfach umgehauen. Wir hatten ja schon Anfang der 80er Jahre die Chance, im U4 zu spielen. Heute ist Wien eine Top- Stadt in Europa, aber ich finde, sie hat sich lange unter Wert verkauft. Ich mag in Österreich auch dieses leicht Schlitzohrig-Schlampige. Dass ein Scheunentor ein Loch hat, durch das dann die Katze hinauskriechen kann, das würde man so in der Schweiz nicht sehen. Das war mir immer nah.

Wie sehen Sie Österreich politisch von außerhalb?

Im Grunde spielt sich hier etwas ab, was du auch in anderen Ländern sehen kannst, auch in Deutschland. Bei uns sind wir aufgrund unserer Vergangenheit noch stärker dazu aufgerufen, sicherzustellen, dass sich gewisse Dinge unserer Geschichte nicht noch mal wiederholen. Das lernen die Menschen in Deutschland von Kindsbeinen an. Insofern haben wir zwar auch die AfD und die Rechts-außen-Bewegung, die immer wieder mal aufflammt, aber nie in einem solchen Ausmaß, dass man Angst haben musste, von ihnen überrollt zu werden. Dann gibt es noch Länder wie die USA, die dir das Gefühl vermitteln, zutiefst gespalten zu sein. Die Hälfte der Amerikaner versucht, sich konstruktiv zu verhalten, die andere legt ein Redneck-Verhalten an den Tag, das ich nicht verstehe. In England ist es ähnlich: Die einen sind entsetzt über den Brexit und schämen sich, die anderen feiern ihn ab. In Polen und Ungarn gibt es eine Menge komischer Strömungen. Und auch in Österreich scheint es einen großen Anteil von stiernackig, borniert Konservativen zu geben, aber ebenso eine riesige Strömung von Leuten, die dagegenhalten und ganz tolle Sachen aus dem Boden stampfen wie dieses „Voices for Refugees“- Konzert. Die kriegen dann immer noch die Kurve und haben die Kraft, die Leute so zu überzeugen, dass die Vernunft Oberhand behält. Aber wir alle, auch in Deutschland, haben mit diesen Problemen zu kämpfen und keiner kann die Garantie geben, dass das nicht irgendwann wieder kippt. Das hängt stark von der Nachrichtenlage ab. Wenn man sich anschaut, wie viele Menschen nach wie vor im Mittelmeer ertrinken, muss man sich nicht wundern, wenn es bald wieder in irgendeine Richtung knallt. Jeder weiß, dass das so nicht weitergehen kann.

Offensichtlich ist Hass in der Gesellschaft stark im Kommen. Was kann man dagegen tun?

Ich glaube, dass es uns allen wahnsinnig gut täte, mehr zu reisen. Viele können sich das allerdings leider gar nicht leisten. So sehen sie nie wirklich ein anderes Land und ihnen bleibt der Kontakt zu anderen Kulturen verwehrt. Man sieht einfach immer wieder, dass wenn Menschen sich aufraffen, allein eine Reise zu tun, und auch bereit sind, dem Fremden zu begegnen, sie einfach anders nach Hause kommen. Ich fände es daher toll, wenn wir Schüler, die für einige Monate ins Ausland gehen möchten, in ihrem Vorhaben unterstützen könnten. Ich weiß nicht, ob das reicht, aber solche Erfahrungen sind enorm prägend. Von diesen Leuten könnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass die nach Hause kommen und andere ausgrenzen. Diese Allmachtsfantasien, dass ein Land allein agieren kann und keine Kompromisse mit anderen eingehen muss, kommen wirklich 100 Jahre zu spät.

In einem Interview haben Sie einmal über die schöne Freundschaft mit Klaus Maria Brandauer erzählt, die Sie als Geschenk empfinden. Wie muss eine Freundschaft aussehen, wenn sie zum Geschenk wird?

Jede echte Freundschaft ist ein Geschenk. Da braucht man nicht mehr viel tun. Sie muss auf Augenhöhe sein und das definiert sich auch so, dass man sich zu jeder Uhrzeit melden kann und sich nicht so vorkommt, als ob man stört. Dass man weiß, dass man angenommen wird. Bei einer richtigen Freundschaft macht es auch nichts aus, wenn man sich mal ein halbes Jahr nicht spricht. In dem Moment, wo das Telefon klingelt, ist alles beim Alten. Es gibt ja verschiedene Arten von Freundschaft. Bei einem Freund weißt du, dass Geheimnisse gut aufgehoben sind, mit einem anderen kannst du besser feiern. Ich glaube, wenn man es versteht, dass wir zwar im Takt gemeinsam älter werden, aber dann doch jeder am Schluss die letzte Tür allein aufmachen muss, ist auch gut nachvollziehbar, dass man im Leben verschiedene Freunde für verschiedene Angelegenheiten hat.

Als Metapher für Ihre Konzerte verwenden Sie gerne den Fußball. Welche Position ist die Ihre?

Das liegt eigentlich nahe: Wenn der Schlagzeuger der Goalkeeper ist, dann bin ich am anderen Ende des Platzes, und dann wäre ich der Mann, der vorne die Dinger reinmachen muss. Der Mittelstürmer.

Könnten Sie Fußball-TV-Experte?

Vom Fachwissen her gibt es da Leute, die deutlich geeigneter wären. Wenn ich zum Beispiel was über den HSV sagen sollte, stände ich blöd da. Ich hätte aber wahrscheinlich mehr lustige Anekdoten über den Liverpool FC zu erzählen als jeder Fernsehexperte in Deutschland. Das ist einfach mein Thema. Oder Fortuna Düsseldorf, da könnte man mich auch gebrauchen, wenn man dieses leicht nervige Parteinehmen entschuldigen könnte. Ein Spiel Fortuna gegen Köln, da könnte es 6:0 für Köln stehen und ich würde trotzdem in rosigsten Bildern über den tollen Fußball der Fortuna berichten. Sachlichkeit war noch nie meine Stärke in solchen Bereichen.

Wie denken Sie darüber, wenn ein Fußballer für über 220 Millionen den Verein wechselt?

Das ist für mich eine nicht nachvollziehbare Summe. Selbst die Hälfte des Geldes wäre für mich Wahnsinn für eine einzige Person. Ich weiß nicht, wo diese Linie ist, wann das einfach idiotisch wird und wann nicht. Wenn man die Regel nach Angebot und Nachfrage zulässt, dann ist das letztendlich wohl nachvollziehbar. Ich finde es trotzdem komisch und glaube, dass uns das Monster Fußball in den letzten zwei, drei Jahrzehnten über den Kopf gewachsen ist. Ich kann mir gerade nicht vorstellen, dass wir noch ein Reglement finden würden, das dieses Ungetüm bezähmen kann. In Amerika gibt es in den Sportligen eine Art Drafting-System. Da darf der schlechteste Club der letzten Saison die neuen sich anbietenden professionellen Spieler als Erstes wählen. Dadurch entsteht Gerechtigkeit und Ausgeglichenheit. So ein System für den Fußball fände ich fantastisch.

Mit Hymnen wie „Tage wie diese“ verbinden ganz viele Menschen ihre wichtigsten Ereignisse in ihrem Leben – Hochzeiten, Feste, private Ereignisse. Was empfinden Sie, wenn Sie darüber nachdenken?

Es ist das Schönste, was man als Musiker haben kann, mit seinen Liedern erstmal Dinge verarbeiten und das mit anderen teilen zu dürfen. Wenn man dann auch noch hin und wieder, wenn ein Lied gelungen ist, die Ehre hat, die Menschen zu berühren oder sie einem sagen „Wie das da beschrieben ist, so geht es mir auch“ – das ist der Ritterschlag. „Nur zu Besuch“ zum Beispiel. Das Lied habe ich geschrieben, nachdem meine Mutter starb. Es war aber nur der Auslöser, ich möchte, dass jeder Mensch es für sich neuinterpretiert. Nach der Veröffentlichung kamen plötzlich Hunderttausende von Briefen, in denen Leute über ihr Leben oder die Situationen erzählten, in denen ihnen das Lied Trost gegeben hat. Das ist dann schon sehr berührend. Ich erinnere mich, dass ich bei „Nur zu Besuch“ fast alle Zuschriften und Briefe gelesen habe – nicht um mich selbst zu beweihräuchern, sondern weil sie eine eigene Geschichte, eine eigene Qualität hatten. Ich glaube nicht, dass ich jemals einen Brief gelesen habe über „Eisgekühlten Bommerlunder“ (lacht). Man darf sich auch nicht zu viel darauf einbilden. Wenn es jetzt nicht wir wären, die auf einer Beerdigung oder einer Hochzeit gespielt würden, wäre ein anderer Song da, der genauso gut oder besser passen würde. Wir haben, glaube ich, ein paar Lieder geschrieben, die gerade im deutschen Sprachraum ganz gut angewendet werden können, aber das ist es dann auch. Ich hasse es, wenn man sagt: „Ja, wir haben uns den Erfolg verdient.“ Was soll das heißen? Haben die, die nicht erfolgreich sind, das auch verdient? Nein, verdient haben wir das nicht, wir haben das geschenkt bekommen und sollten das deshalb auch vernünftig würdigen. Dieses Talent zu haben, dass man anderen Menschen einen guten Abend bereiten kann, dass man sie für ein paar Stunden ablenken, mitnehmen und dann wieder loslassen kann, das akzeptiere ich. Dass wir das können, kann ich eher von uns behaupten, als dass ich singen könnte.

Es ist mittlerweile Tradition, dass Sie in Wohnzimmern von Fans spielen. Das wäre für viele andere Stars undenkbar. Haben Sie keine Berührungsängste?

Ganz im Gegenteil, es ist ein Austausch auf Augenhöhe. Eine Win-Win-Situation, wenn man so will. Die Leute lassen uns in ihr Leben, in ihr Umfeld. Wir können neugierig sein und Spaß haben, in Studenten- WGs feiern, ohne uns anbiedern zu müssen, werden von denen nett aufgenommen und verlassen die Szenerie dann aber auch wieder. Weil wir ja letztendlich doch nicht dazugehören. Spannend wird es dann, wenn du zum Beispiel Jungs von der Freiwilligen Feuerwehr besuchst, wo du weißt, dass die ganzen Kollegen eigentlich ganz andere Musik hören, aber aus Höflichkeit oder Neugier dann doch zu Gast sind. Wie sich so ein Abend dann weiterentwickelt, kann auch spannend sein.

Was brauchen Sie zum Leben? Zum Überleben?

Musik. Und ein paar Avocados. Eigentlich gar nicht so viel. Für mich gelten die gleichen Dinge wie für die meisten anderen auch. Hauptsache, in meinem Umfeld ist gesundheitlich alles in Ordnung. Und wenn man Zeit hat, liebe ich es, Dinge mit anderen zu machen. Gemeinsam Sport und Spiele oder zusammen Essen zubereiten. Das war es dann auch schon. Wenn es darauf ankommt, braucht es bei mir nicht viel.

Sie schreiben akribisch Tagebuch und sagen auch, Ihre Alben sind so etwas Ähnliches wie Tagebücher. Wann haben Sie damit begonnen? Und könnten Sie sich vorstellen, ein Buch daraus zu machen?

Campino: Ich habe damit angefangen, weil ich immer selber meine Steuererklärung abgeben musste und nie nachvollziehen konnte, wo diese ganzen Quittungen hingehörten. Zuerst habe ich immer ganz sachlich die Konzertdaten und Orte, an denen ich gewesen war, eingetragen. Später ging das los mit irgendwelchen zusätzlichen Kommentaren, zum Beispiel dass es an dem Tag geregnet hat oder wie man sich gefühlt hat. Mittlerweile schreibe ich mir auch einzelne Gespräche oder Begegnungen auf. Ich bilde mir ein, dass es irgendwann in ein paar Jahren lustig sein könnte, sich daran zu erinnern. Lustig ist auch, zu sehen, dass man im Grunde ständig dasselbe reinschreibt. In jeder Phase. Wenn wir eine Platte rausbringen, steht da „Ich bin am Ende.“, „Ich weiß nicht mehr weiter.“, „Das bringt doch alles nichts.“, „Mir fällt nichts mehr ein.“. Das kannst du in regelmäßigen Abständen lesen. Da muss man dann auch wieder über sich selbst lachen und es geht auch direkt wieder besser nach vorne. Ob das mal ein Buch wird, weiß ich nicht. Ich könnte mir eher vorstellen, mal einen Roman zu schreiben. Da ist aber noch alles offen.

Welches Buch liegt gerade auf Ihrem Nachtkästchen?

Nicht auf dem Nachttisch, aber aktuell habe ich „Das Leben geht weiter“ von Wilko Johnson immer in meiner Tasche, wenn ich unterwegs bin. Das war der Gitarrist von Dr. Feelgood. Bei ihm wurde Bauchspeichelkrebs im schweren Stadium diagnostiziert. Dann ist er noch mal auf Tour gegangen und hat sich von allen verabschiedet. Er ist dann aber nicht gestorben, sondern hat sich den Tumor rausoperieren lassen und ist heute mehr oder weniger gesund. Wie er diese Phase beschreibt, wo er eigentlich todesgewiss war, ist beeindruckend. Ein lesenswertes Buch.

In Ihrem Beruf ist die Stimme eine wichtige Säule. Auf welche Stimmen hören Sie?

Das kommt immer auf die Situation an. Wenn ich Dingen im Leben begegne, von denen ich keine oder weniger Ahnung habe als andere, dann bin ich nicht der Trottel, der nicht zuhört. Also wenn ich über den FC Liverpool rede und Jürgen Klopp ist im Raum, dann bin ich leise. Letztens war ich auf einer Hochzeit, da habe ich der Stimme des Pfarrers zugehört. Da geht es für mich dann nicht um Religion oder Kirche, sondern es ist einfach wichtig, welches Individuum da vor dir steht und dir das Wort Gottes verkündet. Und wenn das jemand ist, der seine Sache gut macht, dann hört sich das alles richtig an. Wenn es aber ein Idiot ist, dann klingt alles falsch.

Und welche Form der Stimme mögen Sie?

Was mich immer beeindruckt hat, ist, wenn ein Sänger oder eine Sängerin am Limit gesungen hat. Wo du gedacht hast, gleich reißt diese Stimme. Wenn das so leicht ins Hysterische geht, aber dann doch noch die Kurve kriegt. Wenn Patty Smith „Rock N Roll Nigger“ singt, stellen sich bei mir immer noch die Nackenhaare hoch. Oder die Foo Fighters, wenn die zu einer hohen Strophe ansetzen. Da freue ich mich nach wie vor wie ein Kleinkind.

Was ist es für ein Gefühl auf einer Bühne zu stehen und von tausenden Menschen gefeiert zu werden?

Es ist jedenfalls besser, als von tausenden Menschen ausgebuht zu werden (lacht). Wenn du da rausgehst, dann rast du ein bisschen wie durch einen Film. Du musst einfach liefern. Das ist wahrscheinlich wie für einen Spieler. Du machst dir vorher Gedanken, du machst dir nachher Gedanken, aber in dem Moment, wo du auf den Platz gehst, weißt du, was du zu tun hast. Da kannst du gute und schlechte Tage haben. Es gibt Momente, wo du sehr mitgerissen wirst von der Stimmung, von dem Funken, der sich vom Publikum auf die Bühne überträgt. Den geben wir dann wieder zurück.. Man hat da aber keine Gelegenheit, sich gegenseitig auf die Schultern zu klopfen und zu sagen „Das ist jetzt toll hier!“. Du erlebst auch immer nur einen Ausschnitt, nicht das gesamte Bild. Du weißt zum Beispiel nicht, was in der Pause los war. Oder ob die Leute weiter singen und feiern, wenn sie rausgehen. Ob sie sich sagen, dass der Abend gut oder schlecht war. Im Grunde ist der Erfolg oder Misserfolg eines Konzertes immer nur gefühlt. Es war heute gefühlt gut oder gefühlt schlecht. Im Gegensatz zu einer Sportveranstaltung gibt es kein objektives Ergebnis. Jeder von uns kennt das: Du gehst zu einem Konzert und als Erstes ranzt dich die Security an, dass du blöd dastehst oder die kontrollieren dich dämlich und auf eine unfreundliche Art. Dann gehst du drei Meter weiter und kriegst erstmal ein Bier in die Fresse und deine Klamotten sind nass. Da muss der Künstler schon ein gutes Set hinlegen, um diesen Typen noch umzustimmen. Dann gibt es aber auch Konzerte, auf die du mit fünf Freunden gehst, es ist sowieso alles lustig, und selbst wenn die Band nicht so in Form ist, ist das dann nicht mehr so dramatisch. Wir alle erfahren solche Abende anders. Ich mag den Gedanken daran, dass jeder sein eigenes Ding mitnimmt. Dass man das miteinander teilt und es aus verschiedenen Gründen auch nicht mehr zu wiederholen ist. Die Grundidee eines Theaterstücks eigentlich. Warum ist Theater spannender als Kino? Der Kinofilm ist jeden Abend gleich, du siehst ihn natürlich auch immer anders, weil du andere Dinge erlebt hast. Aber diese Möglichkeit des Anderen, die Möglichkeit des Einzigartigen, die macht Live-Events schön.

Wenn man so einen Job hat, hat man natürlich auch die Möglichkeit, vielen spannenden Menschen zu begegnen…

Die Welt ist voll von Menschen, die ich noch gern treffen möchte. Das habe ich immer dem Zufall überlassen oder dem Leben selbst. Es ist vielleicht auch eine Form von Gerechtigkeit, dass wir gar nicht in der Lage sind, in unserer Lebensspanne allen tollen Menschen zu begegnen. Das schaffen wir nicht, aber wir können uns immerhin aufgerufen fühlen, unsere Zeit nicht mit Idioten zu verschwenden. Wenn wir die schon mal auslassen, kriegen wir ein paar mehr mit von den Guten. Man steckt da schon in der eigenen Verantwortung, ob man sich eher auf diese „bad vibes“ einlässt und davon fasziniert ist oder ob man sagt „Ich wende mich ab, ich ändere meinen Blick.“. Denn die simple Entscheidung, ob das Wasserglas halbleer oder halbvoll da steht, die trägt man dann doch selber.

Man sagt, Sie sind ein riesiger Musikfan. Was hören Sie privat gerne?

Quer durch den Garten. Ich kann das gar nicht definieren. Es muss einfach meinem Bauch gefallen. Das kann kubanische Musik sein, mexikanische, irgendwelche Volksmusiken, z.B. immer wieder gerne irische Musik, Sachen vom Balkan. Ich freue mich über jede gute Punk-Bank, die ich höre und die mich mit ihrer Energie noch mal so mitreißt, dass ich sage: „Jawohl! Ist noch nicht alles verloren“. Im Radio höre ich auch mal gerne Popmusik. Durch meinen Sohn auch jede Menge Hip-Hop. Und sogar Klassik, wenn der richtige Moment da ist. Es ist bunt.

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