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Donnerstag, November 21, 2024

Foto-Shooting mit Louai Abdul Fattah

Den finalen Shooting-Zeitplan hält Louai Abdul Fattah erst am Freitagmorgen in der Hand. Fast 80 Namen von Personen aus Kunst, Kultur, Kulinarik, Sport und anderen Bereichen, die wir kurzfristig eingeladen haben, stehen darauf. Auf meinen schuldbewussten Geschichtsausdruck reagiert er sofort: „Aber das ist ja nicht viel! Während des Zuckerfests hat mein Vater 1.000 Menschen am Tag fotografiert.“ In den folgenden Stunden passiert es einige Male, dass ihn jemand auf Englisch anspricht. „Wir können Deutsch reden“, sagt er dann.

Kontakt. Nach nur wenigen Wochen habe er sich in Österreich verständigen können, sagt Abdul Fattah eine Woche später in seiner Wohnung in Brigittenau. „Es hat mich traurig gemacht, nicht zu wissen, was die Menschen sagen.“ Plötzlich, so wenigstens erinnert er es, sei die deutsche Sprache in seinem Kopf gewesen.

Abdul Fattah spricht schnell und isst nebenher ein Stück Torte. Seine Schwester Nour hat zwei Tage zuvor geheiratet, Mutter Asme war wie bei allen Familienfesten für das Buffet verantwortlich. Da Nour ausgezogen ist, leben die Abdul Fattahs nun nur noch zu siebt unter einem Dach. „Bei uns ist die Familie immer zusammen“, sagt der älteste Sohn Louai, „wir haben in Damaskus mit meinen Onkeln, Cousins und Großeltern in einem Haus gelebt.“

Dieses Haus traf vor zwei Jahren eine Bombe. Verletzt wurde dabei niemand, denn wegen des Fliegeralarms hatten sich seine Bewohner im Keller versammelt. Aber der Rundgang durch die zerstörten Zimmer, den Abdul Fattah mit seinem Smartphone gefilmt hat und vorspielt, machte die Unsicherheit der Lage deutlich genug. Die Eltern entschieden, dass sie versuchen mussten, das Land zu verlassen.

Geschichte. Wenn Abdul Fattah darum gebeten wird, zu erzählen, was im folgenden Jahr passiert sei, überkommt ihn manchmal Müdigkeit. „Es ist so viel“, sagt er dann. Oder: „Ich habe seit über zwei Jahren keine Pause gehabt.“ Der Schmuck seiner Mutter, den sie verkaufte, um ihm genug Geld für die Flucht mitgeben zu können, spielt in seiner Geschichte eine Rolle. Seine damals 8-jährige Schwester Shahad, von der er sich auf einer winzigen Mittelmeerinsel zwischen der Türkei und Griechenland bereits verabschiedet hatte, tut es. Auch sein Onkel Suliman, den er gemeinsam mit der Schwester in einem mazedonischen Gefängnis zurücklassen musste und erst nach drei Monaten wiedersah, ist wichtig. Und die Studenteninitiative „Train of Hope“ am Wiener Hauptbahnhof, bei der er sich in der Kinderbetreuung engagierte und außerdem Freunde fand, gehört dazu. „In Österreich bin ich erwachsen geworden“, sagt Abdul Fattah. Wenn er heute mit seiner Großmutter telefoniere, frage die ihn oft: „Louai, bist das wirklich du?“

Heimat. „Die Fotos sind super, die sind perfekt“, begrüßt uns Abdul Fattah am zweiten und letzten Tag unseres Shootings. Nicht mal ausgegangen sei er am Wochenende, so sehr hätten ihn Auswahl und Bearbeitung beschäftigt. Im Fotostudio seines Vaters in Damaskus hat er gelernt, Photoshop anzuwenden. Wenn er nun von „rutschen“ spricht, meint er retuschieren.

Seine erste eigene Kamera habe Abdul Fattah als Siebenjähriger besessen, inzwischen besucht er die Meisterklasse der renommierten Anzenberger Agency. Sein bester Lehrer sei aber Onkel Suliman. „Er sagt mir immer: Du musst deine Kamera so behandeln, als wäre sie deine Freundin.“ Irgendwann wolle Abdul Fattah sein eigenes Fotostudio eröffnen. Vielleicht benennt er es nach dem seines Vaters in Damaskus: Traum.

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