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Samstag, April 20, 2024

Für Live-Kultur und gegen Eventisierung

Als Intendantin des Steirischen Herbstes zog sie sich nach zwölf Jahren erfolgreicher Neupositionierung zurück, um Wege für andere Ideen frei zu machen. Die Tochter einer ostdeutschen Sängerin und eines österreichischen Schauspielers wuchs in Wien auf, studierte hier und war als Dramaturgin bei den Wiener Festwochen beschäftigt. Bei der Vorstellung der Neuen in der Stadtregierung durch Michael Ludwig fiel sie auf, weil sie sich selbst als „seltsames Wesen“ bezeichnete und außerdem keiner Partei angehört.

vormagazin: Ich habe Sie zuletzt beim Vortrag von Richard Sennett über „Die offene Stadt“ gesehen. Was haben Sie davon mitgenommen?

Veronica Kaup-Hasler: Richard Sennett ist einer der großen Denker unserer Zeit. Ihm geht es um die Frage von scheinbar einfachen Begriffen wie Respekt oder Handwerk, um die Geschichte der Öffentlichkeit oder den Niedergang und Verfall der Intimität. Wie hat sich etwa Öffentlichkeit und das städtische Gefüge verändert? Und wie sehr ist die Öffentlichkeit als das, was wir als gegeben nehmen, eigentlich auch zeitlich und historisch bedingt?

Bei Ihrer Einleitung zu Sennett haben Sie neue Zentren in den Außenbezirken angekündigt. Wie weit ist das schon gediehen?

Das dauert natürlich – ich bin jetzt sechs Monate im Amt. Es geht um ein gezieltes Forcieren und Initiieren von Projekten in den bevölkerungsstarken Bezirken. Das sollen unbedingt Projekte mit einem qualitativen Anspruch sein. Unterforderung und leichte Konsumierbarkeit ist also nicht das Konzept. Wir arbeiten daran, dass nächstes Jahr auch schon einige Initiativen in diesem Sinne spür- und wahrnehmbar sein werden. Kunst und Kultur haben diese wunderbare Möglichkeit, gemeinschaftliche soziale Räume zu erzeugen.

Die neue große Veranstaltungshalle soll ja auch in einem Außenbezirk sein …

Genau. Und dann muss man sich auch überlegen, was man dann mit der Stadthalle macht. Mir schwebt natürlich sofort ein Kunst-Cluster vor, z. B. ein Architektur-Cluster. Man könnte unter Umständen auch einmal anfangen, darüber nachzudenken, ob etwa das Architekturzentrum dort einziehen könnte und ein Architekturmuseum. Es gibt genug Sammlungen und Modelle.

Wann wird die Entscheidung über den Ort der neuen Veranstaltungshalle fallen?

Das sollte meines Wissens im Laufe des nächsten Jahres passieren. Es gilt aber auch die Frage zu beantworten, ob die Kunsthalle irgendwo anders positioniert werden soll. Im MQ ist sie ein wenig versteckt. Wenn man gar keine anderen Optionen hat, ist es aber allemal kein schlechter Ort. Das möchte ich betonen und unterstreichen. Aber ich glaube, dass das Museumsquartier hier eine Dynamisierung ihrer eigenen Institutionen einleiten könnte. Und eine Übersiedlung der Kunsthalle in einen anderen Bezirk fände ich persönlich sehr spannend, vorausgesetzt natürlich, sie ist dort optimal ans Verkehrsnetz angebunden.

Eine „Baustelle“ ist auch das Volkstheater. Gibt es hier Gespräche?

Ich sitze jetzt fast jeden Tag um acht Uhr im Café Eiles und spreche mit Menschen, die Ideen oder Visionen zum Volkstheater haben – mit Regisseuren, Regieassistenten, Dramaturgen, Theaterwissenschaftern und Schauspielern, aber auch mit dem Theaterpublikum. Das Schönste ist ihre jeweilige Begeisterung. Es ist den Menschen ein Anliegen, und das erleben zu dürfen, ist eine große Freude.

Meistens trifft man bei Kulturveranstaltungen Menschen, die gleich alt oder älter sind als man selbst. Man hat das Gefühl, es wächst kein Publikum nach …

Es ist die Frage, ob es je anders war, wenn man sich Fotos aus den 60er Jahren anschaut – in Konzerten saßen immer viele ältere Leute. Mein Bedürfnis ist, dass Kunstund Kulturinstitutionen verstärkt auf Vermittlung setzen oder Vermittlung mitdenken, weil die Schulen diesem Bildungsauftrag, den sie haben, manchmal nicht in dem Maße gerecht werden können, wie man sich das für eine Kulturnation wünschen würde. Das heißt, wir müssen andere Strategien einsetzen, um gegen die Eventisierung anzukämpfen. Noch nie in der Geschichte dieser Stadt gab es so viele Ereignisse an einem Tag. Das war in den 60er Jahren fundamental anders, oder auch noch in den 80er Jahren. Das heißt: Wie kann man das schaffen? Ich habe jetzt sehr viele Veranstaltungen besucht, auch von Wien Modern, die waren alle gut besucht. Wien Modern spielt ja auch in Kaffeehäusern.

Kann Kultur das junge Publikum mit Digitalisierung abholen?

Ja, teilweise durchaus. Es wäre super, an Apps zu arbeiten, die mich informieren, was in meiner Umgebung gerade passiert. Wenn ich eine App hätte, die mir von meinem Standort aus mitteilen könnte, wo ich jetzt hingehen kann und wo es noch Karten gibt – das sind Dinge, die wir initiieren und machen könnten. Ein kulturelles Webbing im Service-Bereich ist sinnvoll. Ich glaube aber auch, dass wir gerade in Zeiten der Digitalisierung ganz dringend wieder analoge Räume brauchen. Das ist das Asset von Kunst und Kultur, dass ich etwa ins Kino gehen kann. Das Streamen allein zu Hause funktioniert ja bestens, einsam können wir inzwischen schon alle sehr gut sein – aber das Live-Erlebnis, das beinhaltet, dass man auch noch andere Menschen kennenlernen kann, dass man einander in die Augen schaut, dass man darüber redet, was man erlebt hat, das ist unersetzbar.

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