©Carina Antl
Wer kennt’s? Man sitzt zu Tisch, starrt in seinen Morgenkaffee und plötzlich starrt da was zurück. Ein fröhliches Gesichtchen blubbert einem ermunternd zu, bevor es, sich dem sanften Drehmoment des Kaffees ergebend, wieder zerfließt. Manche von uns können an die Wand geschraubte Kleiderhaken nicht mehr betrachten, ohne darin einen beschwipsten Oktopus mit erhobenen Fäusten zu sehen. Bevor Sie jetzt nach meiner Medikation fragen: All das ist ganz normal. Das menschliche Gehirn neigt dazu, in Dingen, die uns umgeben, bekannte Muster und Formen zu suchen. Gesichter spielen eine übergeordnete Rolle und werden daher zuerst assoziiert. In der Fachsprache nennt man dies Pareidolie, quasi die Autovervollständigung unseres Gehirns. Evolutionstechnischer Sinn dieses Effekts ist es, die vielen Eindrücke, die täglich auf uns einwirken, zu verarbeiten und die Umgebung zu kategorisieren, um schnell reagieren zu können.
In Wahrheit scannen wir unsere Umwelt ständig, sei es, um Orientierung zu schaffen oder zum Amüsement: Wir kartieren das Firmament anhand von Sternenkonstellationen, die mit viel Fantasie (und ein paar Klaren) einem Wassermann oder Krebs ähneln. In orangerot glühenden Sonnenuntergangswolken entdecken wir vielerlei: Drachen, Klobesen, das Antlitz von Donald Trump. Auch Felsformationen werden gerne bemüht. Am slowenischen Prisojnik etwa erahnt man das steinern lächelnde Gesicht der sagenumwobenen Heidnischen Jungfrau. Am Mount Rushmore hat man’s hingegen amerikanisch gelöst: Ganz im Sinne der Convenience hat man die vier US-Präsidentenköpfe in 3D in den Stein gemeißelt. So braucht der Betrachter sein Gehirn nicht mehr selbst auf Sinnfindung schicken. Eine „präsidiale Kombination“, die jenseits des großen Teichs durchaus den aktuellen Zeitgeist trifft.
Eine entfernte Spielart der Gesichtserkennung befällt mich selbst übrigens gern im Urlaub: das Doppelgänger-Bingo. Ich erfreue mich daran, in den Mitmenschen Promi-Lookalikes zu erspähen. Da schlurft dann schon mal Emmanuel Macron in atommeilergrauen Speedos zur Strandbar, in der Ella Fitzgerald die gefeierte Göttin der Cocktailmixer gibt. Vorbei an Prince, der als gelenkiger Yoga-Lehrer die Beach Bunnies bezirzt. Reise ich in Begleitung, wird daraus ein Match! Gewonnen hat, wer die meisten Doppelgänger*innen sammelt UND sich die beste Geschichte dazu ausdenkt. Denn es reicht nicht, bloß jemanden zu erspähen, der optische Ähnlichkeiten besitzt, es muss auch eine in die aktuelle Situation eingeflochtene Story dazu gesponnen werden. Das Urlaubs-Überraschungsei: Spiel, Spaß und man bringt auch gleich ein klasse Souvenir mit nach Hause. Denn samma uns ehrlich: Ein Reisebericht, der mit „Salma Hayek hat mir Tauchen beigebracht, während Elon Musk sich im Schlauchboot die Seele aus dem Leib gereihert hat“ beginnt, bleibt in Erinnerung.
Barbara Kaudelka ist Schauspielerin, Tonstudiosprecherin, Medienmensch und vormagazin-Kolumnistin.
Bild: ©Michael Taborsky