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Donnerstag, April 18, 2024

Wandel ja, aber tranquilo

Für Kuba gilt wie für kein anderes Land eine goldene Regel: Wer sich einmal für wenigstens zwei Wochen auf der karibischen Insel aufgehalten hat, wird sein Leben lang Sehnsucht nach ihr empfinden. Woran das liegt, ist schwer eindeutig klärbar. Vielleicht ist es der Charme von bunt bemalten Kolonialbauten, Chevrolet-Sammeltaxis und obstbeladenen Handwagen, die das Stadtbild prägen, vielleicht sind es die ungewöhnlich schönen Sandstrände in Varadero oder Guardalavaca, vielleicht die kaum berührten Landschaften im Viñales-Tal oder der Sierra Maestra. Vielleicht wünscht man sich an den Malecón, Havannas direkt am Meer gelegene begehbare Mauer, an der abends je- der mit jedem ins Gespräch kommt, oder in eine Gesellschaft, die eine eigene Form zuverlässiger, ungefragter Nachbarschaftshilfe etabliert hat und auffällig tolerant mit Schwächen wie ganztägigem Alkoholkonsum um- geht. Befragt man einen Kubaner selbst zu jenem Phänomen, bekommt man durchaus eine klare Antwort: „Ihr vermisst uns, die Kubaner!“ Da- bei darf die sprichwörtliche Lebensfreude der kubanischen Bevölkerung nicht als pausenloses Feuerwerk guter Laune missverstanden werden. Vielmehr hat sich in Reaktion auf die alltäglichen Ärgerlichkeiten eines sturen, trägen Bürokratieapparats bei vielen eine ironische Gelassenheit entwickelt, die hilft, Frustrationen vorzubeugen. Der Ausdruck „No es fácil“ („es ist nicht einfach“), oftmals erweitert um „ya sabes“ (etwa: „du kennst das eh“), ist nicht umsonst zur prototypischen Abschlussphrase von Gesprächen mit Bekannten wie Unbekannten geworden.

Ein Morgen im Stadtteil Centro Habana beginnt für die meisten seiner Bewohner mit einer winzigen Keramiktasse, einer „tazita“ schwarzen und stark gesüßten Kaffees. Vielleicht hat die extreme Lebensmittelknappheit in der „período especial“ nach Zusammenbruch des Ostblocks dazu beigetragen, dass das kubanische Spanisch zur Verkleinerung von Substantiven verschiedene Formen bereithält. Am Frühstückstisch stehen „pancitos“ (kleine Brotscheiben) und „galleticas“ (Kekserl) zur Auswahl, zum Abschied fordert „Mamita“ von Tochter Yusel ein einzelnes „besito“ auf die rechte Wange. Die 26-jährige Yusel, die außerdem mit der älteren Schwester und der Großmutter zusammenwohnt, leistet seit Abschluss ihres Studiums den dreijährigen staatlichen Sozialdienst ab, was in ihrem Fall Lehrtätigkeit am Physikinstitut bedeutet. Da ihr Unterricht um neun beginnt, macht sie sich um halb acht auf den Weg. Schließlich kann man nie wissen, ob und wann die Bus- se fahren. Das Taxi kostet umgerechnet 40 Euro-Cent, was sich Yusel bei einem Monatsgehalt von 30 Euro nicht leisten kann. Geld, das weiß man, macht man auf dem Schwarzmarkt – und bei den Ausländern.

Auf den Tourismus hat man sich in Kuba eingestellt. „Where you fron?“, lautet die Frage, mit der man sich fremd aussehenden Rucksackträgern in den zentralen Stadtgebieten nähert. Kann man die Antwort vage in Europa verorten, ist die Reaktion zumeist „Spaghetti!“, im Fall Deutschlands kommt manchmal ein „Ah, Müller!“, für Österreich ein „Walz!“ zurück. Freilich hat einen 80-prozentigen Zuwachs an Touristen in nur zwei Jahren auch hier niemand erwartet. Das Floridita, an dessen Bar eine Bronzestatue von Ernest Hemingway lehnt, ist so voll, dass man mit einer Wartezeit von einer Stunde rechnen muss. Verantwortlich für den Boom ist Barack Obama, der die Wiederannäherung der USA an Kuba voranzutreiben versucht. Dabei ist ein Satz Stellvertreter für die Fehleinschätzung der Lage durch die westliche Welt: „In zwei Jahren wird hier an jeder Ecke ein McDonald’s oder Starbucks stehen“, glauben Besucher aus Panama eben- so wie solche aus Italien. „Für Kuba muss es einen Mittelweg geben“, sagt der 34-jährige Carlos dazu. „Wir kennen die Vor- und Nachteile sowohl des kommunistischen als auch des kapitalistischen Systems. Und wir sind doch nicht so blöd, das zu übernehmen, was bei euch schon schiefgelaufen ist.“

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