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Freitag, April 19, 2024

Wer san Sie und wos woin Sie do?

Barbara Kaudelka stellt sich vor

Nostalgische Fröhlichkeit umfängt mich, denke ich an Herrn W. zurück, jenen Nachbarn, der sich vor vielen Jahren das spärlich beleuchtete Mezzanin eines Jahrhundertwendehauses mit mir teilte. Seine Wohnung war meiner vorgelagert, was zur Folge hatte, dass ich an seiner Wohnungstür vorbeimusste, wollte ich die meinige erreichen. Kurz nach meinem Einzug flog eines Tages, just als ich passieren wollte, jene Nachbarstür auf: Im Halbdunkel stand ein leicht gebeugter Mann, weit über 80, in einer Hand einen Gehstock, in der anderen eine Leine; unten dran grunzte empört ein überwuzelter Rauhaardackel. Zusammengekniffene Habichtaugen funkelten mich hinter abgegriffenen Krankenkassenbrillen an.

 „Wer san Sie und wos woin Sie do?“, bellte er mir entgegen. Nicht der Dackel, der Nachbar. Der Hausflur-Hierarchie höflich Rechnung tragend, folgte meine Vorstellung: „Gestatten, Herr Nachbar, mein Name ist Barbara, ich bin die Neue hier.“ Zur Kenntnis nehmendes Grunzen. Vom Nachbarn, nicht vom Dackel. 

Jene forsche Frage erschallte jedes Mal, wenn wir einander am Gang begegneten: egal, ob ich nach einem langen Probentag am Theater hungrig meinem Kühlschrank entgegeneilte, eine frisch erbeutete Schreibmaschine vom Flohmarkt schleppte oder mal beschwipst nach Hause kam.

„Wer san Sie und wos woin Sie do?“, schnarrte es in einem Altwienerisch, das man heute kaum noch hört, und bald war’s kein richtiges Heimkommen mehr, wenn ich’s einmal nicht vernahm. 

Der altehrwürdige Torwächter und sein wurstförmiger Cerberus prüften genau, wer Einlass in ihr Mezzanin begehrte. Mühsam? Ein wenig. Hatte aber tolle Nebeneffekte: Die Zeugen Jehovas klopften jahrelang nicht an meine Tür. 

Es dauerte ein Zeiterl, bis ich begriff, dass Herr W. mitnichten ein mieselsüchtiger Misanthrop war, sondern schlicht und ergreifend ein bisserl schasaugert. Die an Frotzelei grenzende Flurbeleuchtung erledigte den Rest.

Ich beschloss, ein wenig am dramatischen Bogen der Gang-Szene zu feilen. 

Wenn Herr W. nun sein Stichwort gab, antwortete ich: „Gestatten, Herr Nachbar, ich bin’s, die Neue hier“ – und erzählte ihm eine Anekdote aus meinem Tag.

Gamechanger! Kaum sprach ich den vertrauten Auftakt, zerfloss seine strenge Miene zu einem weichen Lächeln, warm und großväterlich und selbst der Dackel leistete uns beim lieb gewonnenen Bassena-Plausch schwänzchenwedelnd Gesellschaft.

Meine beiden nachbarlichen Gentlemen sind in jenem schummrigen Mezzanin geblieben, aus dem ich einige Jahre später wieder auszog. „Ich werd Ihre Geschichten vermissen, gnädiges Fräulein!“, schmunzelte Herr W., als wir einander zum Abschied als Freunde umarmten. Wehmütiges Grunzen. Von mir, nicht vom Dackel. 

Verehrte Leser:innen, ich freue mich von Herzen darauf, als vormagazin-Kolumnistin ab sofort auch an dieser Stelle ein wenig erzählen zu dürfen.

Gestatten, mein Name ist Barbara, ich bin die Neue hier.


Verehrte Leser:innen, mein Name ist Barbara Kaudelka und ich freue mich darauf, als Kolumnistin ab sofort ein wenig erzählen zu dürfen.

Barbara Kaudelka ist Schauspielerin, Tonstudiosprecherin und Medienmensch – und vormagazin-Kolumnistin!

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