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Dienstag, Dezember 3, 2024

Bernhard Paul und die Sonnenbrillen

QUALITY TIME. Der Circus-Roncalli-Gründer hat auch abseits der Manege viel zu geben. Mir schenkte er Zeit und sein Markenzeichen.

Pünktlich um zehn Uhr am Vormittag klingelte ich am Haustor. Die Gegensprechanlage begann zu rauschen und eine Stimme krächzte: „Griaß eich, Burschn.“ Es war Bernhard Paul selbst. Der Regen prasselte auf den Steinweg, der zu seinem Haus führt, der Himmel war wolkenverhangen und der Blick auf Palma diesig. Die Wetterprognose für den Spätsommertag war bescheiden. Um mit dem Circus-Roncalli-Direktor ein Interview zu führen, reiste ich vor zwei Jahren mit Fotograf Stefan Joham auf die Baleareninsel Mallorca, wo Paul einen Wohnsitz hat. Obwohl wir uns nicht persönlich kannten, organisierte seine Presseagentin diesen doch sehr privaten Termin. Ein Treffen in Wien ging sich aus Zeitgründen nicht aus. Zum Glück. Wir hatten uns also zum Frühstück verabredet. Bis zu Mittag sollte dann alles erledigt sein, das Interview und auch ein Fotoshooting mit der ganzen Familie. Von wegen. Bernhard Paul entführte uns auf eine Reise. Stundenlang saßen wir in seinem Büro, betrachteten Fotos aus 40 Jahren Circus Roncalli, lauschten gespannt den dazu gehörigen Geschichten und blickten verzaubert auf den Computer-Bildschirm, als uns der Gastgeber Videos zeigte, in denen Sir Paul McCartney himself über die Gitarrensammlung von Paul staunte – Bernhard Paul ist ja als Sammler bekannt. Zwischendurch bemerkte der Jäger in ihm: „Deine Sonnenbrillen san cool.“ Die Gläser hingen aus meiner Brusttasche. Wir philosophierten weiter über Gott und die Welt, hörten Musik von den Stones und den Beatles und vergaßen dabei Raum und Zeit. Das Haus verließen wir weit nach Mitternacht. Es war kein einziges Foto auf der Speicherkarte und auch keine beantwortete Frage auf dem Aufnahmegerät. „Morgen erledigen wir alles“, versicherte er. Gesagt, getan. Zwei Stunden vor dem Rückflug war alles im Kasten. Beim Abschied meldete sich der Jäger wieder zu Wort: „Die san wirklich cool!“ Ich hatte verstanden. Schon am Vortag. Also schenkte ich Bernhard Paul meine Sonnenbrille. Dafür bekam ich seine legendäre Carrera. Darauf bestand er.

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