Bild: ©Stefan Diesner
Der Autor, Filmemacher und Regisseur Kurt Palm kommt mit seinem neuen Roman „Der Hai im System“ zur Kriminacht in Wien am 12. Oktober. Wir haben ihn zum Gespräch getroffen.
Kurt Palm, 1955 in Vöcklabruck geboren, war schon immer ein Spezialist für Projekte außerhalb der Norm. Er realisierte – u. a. mit dem Autor und Zeichner Tex Rubinowitz – in seinem „Sparverein Die Unz-Ertrennlichen“ eigene und fremde Stücke, schrieb ungewöhnliche Bücher über James Joyce oder Adalbert Stifter und wurde mit der wohl skurrilsten Nightshow des ORF als Regisseur – „Phettbergs Nette Leit Show“ – berühmt. Mit „Bad Fucking“ gelang ihm ein Krimihit, der auch verfilmt wurde.
Angeln
Im neuen Krimi geht es um einen einsamen Außenseiter, eine Lehrerin und ihren depressiven Ehemann sowie um einen Polizisten, der gerade das Ende einer verhängnisvollen Affäre durchlebt. Der titelgebende Hai schwimmt übrigens im Haus des Meeres, wo eine sehr spektakuläre Szene spielt. Zu Fischen hat Palm ein besonderes Verhältnis, denn er ist passionierter Angler. Allerdings kein geduldiger – Palm: „Es gibt zwei Arten von Anglern. Die einen sind die Karpfenfischer, die den ganzen Tag auf einer Bierkiste sitzen und wenn sie einen Karpfen fangen, den wieder zurück ins Wasser werfen. Dafür ist am Abend die Bierkiste leer. Und die anderen jagen Raubfische wie Forellen und Hechte, um sie daheim zu braten – sie sind dementsprechend nervös, ob sie ihr Abendessen fangen. Ich gehöre zur zweiten Gruppe.“
vormagazin: Im Roman gibt es drei unterschiedliche Figuren – welche war zuerst da?
Kurt Palm: Angefangen hat die Geschichte mit diesem Außenseiter, der allein in seiner Wohnung sitzt und die Geräusche der Großstadt reflektiert, die ihn nach und nach in den Wahnsinn treiben.
Störgeräusche sind ja eine gängige Schriftsteller-Neurose …
Ja, dabei ist der 7. Bezirk – also dort, wo ich wohne – sehr leise. Aber trotzdem – wenn man eine Zeit lang Tauben, Hundegebell, Kindergeschrei, laute Fernseher verfolgt, kann einen das schon stören. Und mich hat interessiert, was aus jemandem wird, der allergisch auf Geräusche reagiert und jeden Lärm als persönliche Bedrohung empfindet. Dass er dann zum Attentäter wurde, kam erst später dazu. Denn ich habe ihm ja auch eine Aussicht aus dem Fenster schaffen müssen – und seltsamerweise ist mir da ein Schulhof eingefallen. Aus dem hat sich dann die Geschichte mit der Lehrerin entwickelt. Obwohl ich das gar nicht vorhatte, gibt es im Roman jetzt alles, was in einem klassischen Krimi vorkommt, nämlich Mord, Rache, Erpressung.
Der allein in seiner Wohnung Hockende ist auch der Einzige, der in der Ich-Stimme spricht, warum?
Weil ich seine innere Stimme einfangen wollte. Ich habe recherchiert, was bei fast allen Attentätern zu ihrer Persönlichkeit bekannt ist: fehlende Liebe in der Kindheit, soziale Einsamkeit, krankhafte Neurosen. Männer, die nur eine Möglichkeit für eine Konfliktlösung sehen – und das ist Gewalt. Wir haben in Österreich eine der höchsten Zahlen von Femiziden weltweit – die toxische Männlichkeit ist hierzulande leider sehr verbreitet. Wenn man so will, ist mein Buch der Mikrokosmos für das, was sich gerade international abspielt. Es werden wieder noch mehr Waffen hergestellt und im Ukraine-Krieg ist toxische Männlichkeit ein ganz wesentlicher Faktor – auf beiden Seiten, übrigens.
Es gibt ja auch drei Selbstmorde im Buch, alle drei sind Männer und interessant ist außerdem, dass die Geliebte des Polizisten auch kein – wie man in Wien sagt – „Waserl“ ist.
Selbstmord ist ja Gewalt gegen sich selbst und die Geliebte ist sozusagen auch toxisch. Ab und zu übersieht man, wie manche Frauen die negative Energie von Männern spiegeln. Leider übernehmen wenige Männer die positiven Charaktereigenschaften von Frauen, aber viele Frauen übernehmen negative Seiten von Männern. Ich wollte kein Schwarz-Weiß-Bild von Männern und Frauen zeichnen.
„Der Hai im System“ klingt natürlich auch nach Systemkritik. Was läuft da falsch?
Die Katastrophen entstehen durch einen eklatanten Mangel an Empathie. Selbst die sympathischste Figur – die Lehrerin – kümmert sich lieber um die Probleme ihrer Klasse, statt mit ihrem depressiven Mann über die eigenen Probleme zu sprechen. Ich habe das Gefühl, dass ein Großteil der Menschen überhaupt kein Interesse mehr hat zu erfahren, wie es anderen geht. Vielleicht weil sie keine Zeit haben, von ihren Smartphones aufzuschauen. Die Menschen werden zu mit Konsum angefüllten Hüllen.
Kurt Palm: „Der Hai im System“
Leykam Verlag
280 Seiten
€ 23,50