Mittendrin statt sowieso dabei
Es muss nicht die Couch sein. Die Sitzplätze für die Song-Contest-Shows in der Wiener Stadthalle sind begrenzt, aber feiern kann man auch woanders.
Text: Mareike Boysen
Als eine der größten TV-Produktionen des ORF, als internationales Megaevent, das erstmals nach 48 Jahren in die Alpenrepublik zurückkehrt, und als Show-Nachfolger auf den Siegeszug der neuzeitlichen „Queen of Austria“ Conchita Wurst wird der Eurovision Song Contest 2015 in die österreichische Geschichte eingehen. 1.700 Journalisten und 1.300 Delegierte aus 40 Ländern werden in Wien erwartet. Die weltweit größte Fernsehveranstaltung im Bereich Musik und Unterhaltung wird in über 40 Länder übertragen, darunter China, Kanada und Australien. In Österreichs Ostregion ist man trotzdem am dichtesten dran – und kann dies auch ohne Ticket für die Stadthalle zu spüren bekommen. Auf dem heimischen Wohnzimmersofa einsam Solettis zu knabbern, ist jedenfalls längst nicht das beste Begleitprogramm zum Showspektakel.
Die Welt im Dorf. Die Eurovision Week des ORF beginnt am 17. Mai und umfasst insgesamt neun Shows. Höhepunkte sind die beiden Semifinale am 19. und 21. und, selbstredend, das große Finale am 23. Mai. Auf dem Rathausplatz der Hauptstadt, der als frei zugänglicher Begegnungsort in die einwöchigen Festivitäten einbezogen ist, wird das so genannte Eurovision Village errichtet. Unter dem Motto „Hello Vienna! Welcome Europe!“ können sich hier die teilnehmenden Nationen, ähnlich wie bei der Weltausstellung, in Pavillons präsentieren. Auch sollen damit nationale Fancommunities ihre eigenen Treffpunkte erhalten. Der Song Contest und das begleitende Konzept der friedlichen Völkerverständigung werden so mitten in die Stadt geholt. Eine Idee, die nicht neu ist, aber in Wien neue Maßstäbe erfährt: Noch nie zuvor hat eine austragende Stadt einen derart großen Platz zur Verfügung gestellt. Bis zu 20.000 Besucher können hier gleichzeitig an den Feierlichkeiten teilhaben. Zur Eröffnungszeremonie des Eurovision Village am 17. Mai wird für die 40 Länderdelegationen quer über den Platz noch ein Superlativ ausgerollt: der längste rote Teppich, den es in Wien je gegeben hat. Auch der folgende Montag ist in der Hauptsache textil: Auf der großen Bühne direkt vor dem Rathaus stellen Designer aus den Teilnehmernationen in der Modenschau „Fashion for Europe“ ihre Arbeiten vor. Die verbleibenden Tage zwischen den Livesendungen stehen jeweils unter einem anderen Motto: Der Mittwoch ist dem im vergangenen Jahr verstorbenen, ersten österreichischen ESC-Sieger Udo Jürgens gewidmet, am Freitag steht die zweite Gewinnerin Conchita Wurst im Mittelpunkt. Liveauftritte von diesjährigen Teilnehmern inklusive der Österreicher The Makemakes sind angekündigt. Für die Übertragung der TV-Shows auf Großleinwänden wurde die App Lightify entwickelt, über die Besucher die Acts im bestens bekannten 12-Punkte- System bewerten und damit den Rathausplatz in unterschiedlichen Farben zum Erstrahlen bringen können. Wer als Wiener fürchtet, im internationalen Getümmel am Burgring den Überblick zu verlieren, für den hält die Weltstadt auch diverse beschaulichere Public-Viewing- Optionen bereit, etwa im Camera Club in der Neubaugasse, in der Village oder der Felixx Bar in Mariahilf, am Kaiserbründl in der Weihburggasse oder, ganz traditionell auf Thonet-Sesseln, im Café Museum am Naschmarkt.
In den Ländern. Eisenstadt schaut in die Geschichte und feiert am 23. Mai gleich doppelt: Die österreichische Ausstrahlung des 60. Eurovision Song Contests fällt mit dem 90. Jubiläumsjahr seit Ernennung zur Landeshauptstadt des Burgendlands zusammen. Bürgermeister Thomas Steiner sei es „ein Anliegen, auch allen Burgenländerinnen und Burgenländern ein einzigartiges und gemeinschaftliches Erlebnis während des Wettbewerbs zu bieten“. Als passender Rahmen für eine „chillige, schöne Atmosphäre“, so Steiner jugendnäher, wurde die Orangerie des Eisenstädter Schlossparks gewählt. Dort wird das Finale auf Großbildleinwand projiziert und von ORF-Moderator Thomas May kommentiert. Bereits um 17:00 Uhr beginnt die ESCParty mit einem Radio-Burgenland-DJ und Song-Contest- Hits der letzten Jahrzehnte. Viele Jahrhunderte hingegen zurück liegt die Errichtung der Burg Gars am Kamp im niederösterreichischen Waldviertel: Ihre Vergangenheit als Ort für Versammlung und Austausch ehrend, werden bei Gratiseintritt heuer beide ESC-Halbfinale im Rittersaal übertragen. Für das Finale ist ein Open-Air vor steinerner Kulise im Burghof geplant. Unter freiem Himmel projiziert auch das kultverdächtige Musikcafé Egon in St. Pölten, das sich bereits während der Fußball-WM einen Namen als Veranstalter machen konnte. In Zwettl wird am Hauptplatz geschaut, Berndorf stellt sogar den Stadtsaal ganz ins Zeichen des ESC. Im restlichen Niederösterreich laden außerdem vor die Leinwand: das Freizeit- und Kulturzentrum Altlengbach, die Happyland-Sportstätten Klosterneuburg und die Mothee Bar-Lounge in Reisenberg.
AUF DER FLUCHT. Bei aller festlichen Euphorie: Den verbliebenen ESC-Grummlern und -Skeptikern seien zuallererst die regionalen ö ffentlichen Verkehrsmittel ans Herz gelegt, die sich während der Finalshows aller Voraussicht nach luxuriös leer präsentieren werden. Das Theater in der Josefstadt zeigt am Finaltag ab 19:30 Uhr Nestroys „Zerrissenen“, im Rabenhof wird ab 20:00 Uhr die Krimi- Adaption „Das Schwert des Ostens“ auf die Bühne gebracht. In der Strandbar Herrman steht in der Song-Contest- Woche ein Karaokecontainer aus Hamburg bereit, der gemeinsam mit klassischem Seemannsliedgut importiert worden ist. Nur: So ganz und vollständig kann man sich der Begeisterung für den Song Contest in Österreich wahrscheinlich nicht einmal in einem Tretboot mitten auf dem Neusiedler See entziehen. Und eigentlich wäre das ja auch schade. Wenn man schon mal so richtig dabei sein kann.