Text: Barbara Kaudelka l Beitragsbild: © privat
Es gibt sie überall, die Spezies des Homo telephonicus maximus. Doch im Vivarium der Österreichischen Bundesbahnen gedeiht sie besonders prächtig. Die Bedingungen sind perfekt: Fahrstrecken mit gelegentlichen Stehzeiten, das WLAN ein zartes Gerücht, doch das Mobilfunknetz: glasklar! Zumindest, sobald ein Exemplar beschließt, lautstark seine intimen Lebensfragen zwischen Spittal und Spittal an der Drau zu erörtern.
Meist beginnt es harmlos. Ein genäsaltes „Hallooo?“ durchdringt das Großraumbabell wie der erste Ton einer sechssaitigen Geige. Ein Raunen geht durch die Sitzreihen. Er ist da. Der Auserwählte. Der Laut-Telefonierer im Slim-Fit-Anzug. Er spricht nicht, er performt. Seine Stimme schwankt zwischen Nationalratssitzung und Opernarie, unterbrochen bloß durch die verzerrte Stimme, die aus dem viel zu laut gestellten Mobiltelefon blökt. Ob man will, oder nicht: Man erfährt alles – vom frisch diagnostizierten Spreizfuß bis zum Pro und Contra im Kaufentscheidungsprozess zum neuen OBI-Porzellanthron (es wurde der mit Spezialbeschichtung). Da hilft selbst der rauschunterdrückendste Kopfhörer nix – zack, schon ist man in Folge eins der Telenovela auf Schienen: „…und dann sagt sie, dass der Heinz mit dem Christian scho wieda beim Linedance war!“ Während man noch darüber nachdenkt, ob hier von einem Tanzkurs oder einem Samstagabend im VoGa die Rede ist, ist die Handlung längst weiter: „Ich hab ihr den Tipp gegeben, Heinz und Christian sollten sich mal die Aura reinigen lassen, dafür gibt’s ganz tolle Schamanen-Schwitzhütten.“
Bunt und facettenreich ist sie, die Fauna der Zugtelefonierer, man unterscheidet diverse Unterkategorien. Da wäre zum Beispiel Der Geschäftige, der so dermaßen oft das Wort „Synergien“ verwendet, dass man am liebsten mit einer Thermoskanne nach ihm werfen möchte. Sein Gespräch ist ein verbaler Spagat zwischen Buzzwords und Überkompensation: „Also Jürgen, wir müssen das Zielgruppen-Mindset disruptiv neu denken. Die Customer Journey ist aktuell einfach zu … linear.“ Ah eh. Dann ist da noch Die Tragödin, meist aus der Familie der Millennials, deren Liebesleben quasi 1:1 auf TikTok übertragen wird: „Er hat nur ein Herz-Emoji geschickt!!! Kein rotes – EIN ORANGENES!!! Weißt du, was das bedeutet, Caro? Er ist emotional nicht verfügbar!“ Die ganze zweite Klasse nickt mitfühlend. Und nicht zu vergessen Der Überinformierte, der sich lautstark medizinische Diagnosen erklären lässt: „Also wenn der Juckreiz jetzt auch in der Kniekehle ist, könnte das psychosomatisch sein, oder, Frau Doktor?“ Ich plane indes innerlich das Grande Finale jener nervtötenden Telefon-Telenovela – ich verkuppele den Hypochonder mit der Herzschmerz-Maus und stecke der Marketing-Yuppie gemeinsam mit Heinz und Christian in die Schwitzhütte, dann ist Ruh. Da fährt die Eisenbahn drüber!