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Dienstag, April 16, 2024

Stewart O’Nan

Text: Helmut Schneider Foto: Stefan Joham

Nicht weniger als 100.000 Bücher werden seit 16 Jahren vom echo medienhaus gratis an Wienerinnen und Wiener verteilt. Die weltweit einzigartige Buchaktion bringt heuer Stewart O’Nans „Letzte Nacht“. Im Buch sperrt der Filialleiter eines Fischrestaurants zum letzten Mal das Lokal auf. Der Konzernführung ist das Restaurant nämlich zu unrentabel.

vormagazin: „Letzte Nacht“ ist ein Roman über einen Mann aus der Arbeiterschicht. War es Ihre Absicht, über Menschen zu schreiben, die normalerweise nicht in Romanen vorkommen?

O’Nan: Ja, aber ich denke, das trifft für viele meiner Bücher zu. Ich stellte mir die Frage: Wie kann ich über das Arbeiten schreiben und das so formulieren, dass es eben nicht nur um den Job geht? Und dann bin ich eben auf einen Zeitungsartikel über ein „Red Lobster“-Restaurant, das zusperren musste, gestoßen. Irgendwie habe ich in meinem Hinterkopf angefangen, darüber nachzudenken. Ich fragte mich, wen würde die Restaurantschließung wirklich auch emotional bewegen? Schließlich kam mir die Idee, über einen Menschen zu schreiben, der stolz ist, seine Arbeit zu machen. Denn das ist doch faszinierend: Obwohl Manny natürlich niemals ein Restaurant wie das Red Lobster besitzen könnte, empfindet er es fast wie ein Lokal, das ihm gehört. „Letzte Nacht“ ist daher vor allem ein Roman über den Stolz, seine Arbeit zu machen – auch wenn man dadurch sicher nicht reich wird.

Haben Sie viel recherchiert?

Ja, ich musste ja jedes kleinste Detail wissen, weil Manny dadurch, dass er weiß, dass er das Restaurant verlieren wird, alles so geschärft wahrnimmt. Er will diese Welt irgendwie bewahren, will sie festhalten. Für die Entscheider im Konzern sind das alles nur Kostenfaktoren – für ihn sind das aber Emotionen. Niemand hat sich je so sehr um dieses Restaurant gekümmert wie er – und ich denke, das verschafft diesem Drama den nötigen emotionalen Druck. Ich habe mit meiner Frau „Red Lobster“-Restaurants besucht und wir haben so getan, als hätte meine Frau Geburtstag. Wenn du dich als Autor vorstellst, geben dir viele Menschen Antworten auf alle deine Fragen. Also habe ich Kellner, Barkeeper und Manager immer wieder befragt: „Was ist deine Aufgabe? Wie ist deine Arbeit? Welche Verantwortungen hast du? Erzähl mir etwas über deine Schicht. Was musst du tun, wenn das Restaurant geöffnet wird, und was musst du beim Zusperren tun?“

Und sie haben alle Fragen beantwortet?

Ja, sie haben alles beantwortet! Es war großartig. Und ich habe Kellner direkt darauf angesprochen, wasvon ihrem Alltag unbedingt in das Buch muss. Und sie haben mir etwa von Müttern erzählt, die ihre Kinder nicht unter Kontrolle haben, welche dann – mit Cola und allem abgefüllt – das Restaurant vollkotzen. Und ich habe versprochen, das zu erzählen …

War „Letzte Nacht“ ein erfolgreiches Buch?

Ja, sehr erfolgreich! Und es kam völlig unerwartet, weil der Verlag das Buch anfangs gar nicht wollte. Es wurde groß in der New York Times besprochen und wird weiterhin gut verkauft – sogar in vielen Schulklassen wird es gelesen. Weil man dafür höchstens eine Woche braucht und weil so zentrale Themen wie das Scheitern der traditionellen amerikanischen Wirtschaft angesprochen werden – dazu kommt noch der Konflikt Arbeiter versus Management. Ich glaube aber, der Erfolg von „Letzte Nacht“ hat auch damit zu tun, dass ich in Pittsburgh aufgewachsen bin. Als ich gerade Teenager wurde, gingen dort sehr viele Jobs verloren. Ein Großteil der Bewohner der Stadt arbeitete ja in der Stahlproduktion. Und plötzlich wurde uns das weggenommen. Und niemand wusste, was wir dagegen machen konnten. Wir fühlten uns irgendwie aufgegeben.

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