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Mittwoch, Oktober 29, 2025

Woher der Wind weht

César Manriques schneeweiße Villen veredeln die schroffe Landschaft seiner Heimat Lanzarote. © Michael Schottenberg

Aus dem Reisetagebuch von Michael Schottenberg: Kaum ein Land wurde so nachhaltig von einem Künstler beeinflusst wie Lanzarote von César Manrique.

Ohne ihn lief hier nichts. Gar nichts. Sogar die Werke, die Jesús Soto, Paco Curbelo oder José Saramago schufen, wurden von César Manrique, Lanzarotes ungekröntem Inselkönig, signiert. In welcher seiner vielen Sprachen er sich auch ausdrückte, Malerei, Architektur, Bildhauerei, Poesie, Gartengestaltung oder Stadtplanung, der Wille, seine Heimat zu einer grandiosen Neuschöpfung aus Kunst und Natur zu formen, sein Anspruch (äußere) Schönheit mit (innerer) Ruhe in Einklang zu bringen, manifestierte sich in jedem seiner Kunstwerke.

Die Arbeiten des Vermarktungsgenies Manrique sind auf „seiner“ Insel ebenso wenig zu übersehen wie Lava und Licht. Ob abstrakte Gemälde, farbenfrohe Skulpturen oder die kühne äußere Form der schneeweißen Villen – des Universalgenies Kunstanspruch veredelte die schroffe, vom Feuer der Vulkane geprägte Landschaft seiner Heimat. César Manrique war Visionär, Revolutionär und Lebenskünstler, er war Andy Warhol, Fidel Castro und Gunther Sachs in einer Person.

Kaum ein Land wurde so nachhaltig von einem Künstler beeinflusst wie Lanzarote. Sei es die bizarr zerklüftete Küste bei El Golfo, die endlos schwarzen Lavafelder der Feuerberge oder der windumtoste Strand von Caleta de Famara, die prägende Handschrift des Kunstdiktators schien dies alles erschaffen zu haben. Sogar in Sachen Ökologie und Umweltpolitik ging nichts ohne Manriques Einflussnahme. Werbetafeln in- und ausländischer Konzerne blieben der Insel bis heute ebenso erspart wie der Anblick von Bettenburgen oder anderen Bausünden. Sein kompromissloser Kunstanspruch schrieb den Lanzarotenos sogar das Weiß der Häuser und das Grün ihrer Fensterläden vor („Manrique-Grün“).

Künstlerkollegen wie Immobilienhai wurden vom Diktat des Ausnahme­künstlers erdrückt. Manrique stand bei jedem zweiten Bauprojekt (außer seinen eigenen) auf der Bremse. Die Inselregierung diente sich ihm an – und er sich ihr. Unter keinen Umständen wollte er zulassen, dass sein Garten Eden am Altar des Massentourismus geopfert wird – die ästhetische und ökonomische Integrität der „Perle im Atlantik“ ging ihm über alles. Je exklusiver sich die Insel präsentierte, desto begehrter aber wurde sie auf den internationalen Ferienbörsen. Immer mehr Menschen wollten teilhaben an der Exotik Lanzarotes – auch an den in „Bunten Blättern“ kolportierten Gossip-Geschichten des Meisters.

Die Anzahl der Übernachtungen explodierte, sanfter Tourismus hin oder her. Der Unfalltod Césars Manriques am 25. September 1992 erschütterte die internationalen Klatschspalten nachhaltig, war doch selbst das Ende des ikarischen Himmelsstürmers an Theatralik nicht zu überbieten: Mit seinem Jaguar raste er auf eine Kreuzung zu, unmittelbar darauf wurde er von einem schweren Geländewagen gerammt.

Schenkt man der Inselfama Glauben, stand die Baumafia dahinter. Sogar sein Tod bewirkte Erstaunliches: Seither gibt es auf Lanzarote keine Überlandkreuzungen mehr, sie wurden allesamt in Roundabouts umgewandelt, in deren Mitte zumeist Kunstwerke aus des Märtyrers Hand stehen: riesige Mobiles, die sich in jene Richtung drehen und wenden, aus der gerade der Wind weht. Symbolträchtiger wurde wohl noch keines Künstlers gedacht.


Der Strand von Caleta de Famara im Nordwesten der Insel lädt zum Surfen und Träumen ein. © Michael Schottenberg

Michael Schottenberg: Vom Entdecken der Welt – Schotti to go. Amalthea Verlag, 256 Seiten, € 28,–

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