7.2 C
Wien
Samstag, Februar 22, 2025

Tito-Partisanen und Winnetou – Clemens Meyers Monumentalroman „Die Projektoren“

Die 1050 Seiten dieses Romans sind sowohl ein Lesevergnügen als auch ein Bergwerk für Germanistik-Seminararbeiten. Clemens Meyers „Die Projektoren“ schafft nämlich zweierlei – eine spannende Handlung zu erzählen und Sätze zu finden, die nachwirken. Dabei schert sich Meyer erfrischend wenig um drohende Kitschvorwürfe. Da hat endlich wieder einmal einer einen Roman geschrieben, der Position bezieht.

„Die Projektoren“ beleuchtet die dunkelsten Kapitel der Geschichte des Balkans. Schon der 1. Weltkrieg hatte hier seinen Ausgangspunkt, aber im Roman sind wir vor allem im blutigen Partisanenkrieg gegen die Nazis und die mit ihnen verbündeten kroatischen Ustascha-Faschisten, im Tito-Kommunismus und später im Bürgerkrieg nach dem Tod des Diktators. Als logischer Abschluss dient das Flüchtlings-Leid auf der sogenannten Balkanroute. Und als Kontrastprogramm sind wir bei den ungemein erfolgreichen deutschen Karl-May-Verfilmungen dabei, die um die Plitvicer Seen herum gedreht wurden. Da kämpfen zwar auch Indianer ums Überleben, aber das Publikum durfte eben auch „echte“ Helden anhimmeln. Ein Franzose – Pierre Brice – spielte den Winnetou, ein Amerikaner – Lex Barker – den Deutschen Old Shatterhand.

In „Die Projektoren“ werden viele Geschichten erzählt – so reist etwa Pierre Brice mit einem jugoslawischen Schauspieler, der im Film Winnetous Vater spielt und ein veritabler Schürzenjäger ist, durch die USA, um echten Indianern bei ihrem Kampf um mehr Rechte zu unterstützen. Als Hauptperson dient Meyer aber ein Mann, der immer nur als der Cowboy genannt wird, weil er ein kariertes Halstuch trägt. Der diente als Halbwüchsiger den Partisanen als Meldegänger, sitzt dann aber trotzdem Jahre auf der berüchtigten Gefängnisinsel und macht sich bei den May-Dreharbeiten als Komparse und Übersetzer unentbehrlich. Denn just vor seiner Haustüre auf einer Schäferhütte kämpfen Mays Helden ihre gerechten Kämpfe. Am Ende sucht er seine Nichte mitten auf den Schauplätzen des IS-Terrors im Iran, wo er zur Unterhaltung der Dorfbewohner Winnetou-Filme zeigt – Karl May hatte ja auch einige Orient-Abenteuer hinterlassen. Sehr wichtig sind aber auch die gar nicht harmlosen Spiele blutjunger Neonazis in der damaligen DDR. An der Seite der Kroaten ziehen diese später im Balkankrieg gegen die Serben. Die verschiedenen Handlungsstränge lassen sich freilich kaum nacherzählen – da fällt einem Wiener natürlich gleich Doderers Ausspruch ein: „Ein Werk der Erzählungskunst ist es umso mehr, je weniger man durch eine Inhaltsangabe davon eine Vorstellung geben kann“, verlautbarte der Autor 1966. In den „Projektoren“ löst eine groteske Szene die nächste ab.

Als Schlüsselszene könnte man den historischen Vortrag, den Karl May 1912 in Wien gehalten hat und bei dem angeblich Adolf Hitler unter den begeisterten Zuhörern gewesen sein soll. Der Titel: „Empor ins Reich des Edelmenschen“, denn der Schilderer unzähliger Kämpfe soll in Wirklichkeit ein großer Humanist gewesen sein. „Die Projektoren“ ist ein Roman, bei dem man nach der letzten Seite das Gefühl hat, ihn gleich noch einmal lesen zu müssen.


Clemens Meyer: Die Projektoren
S. Fischer, 1056 Seiten, € 36,00

Latest Posts

Anzeige

Für den vormagazin-Newsletter anmelden – Bleib mit uns in Bewegung

Neueste Beiträge