„Sprich mit mir“ – so der Romantitel – ist eine Aufforderung, die nach der Lektüre wie ein Flehen klingt. Sam ist ein junger Schimpanse, dem ein Wissenschaftler Ende der 70er Jahre in Kalifornien die Zeichensprache beibringt und der bei ihm zu Hause wie ein Kleinkind aufwächst. Zur Betreuung holt er sich Studierende, und eine von ihnen – Aimee – baut eine besonders intensive Bindung zu ihrem „Forschungsobjekt“ auf. Als Sam wieder an seinen Besitzer, einen anderen Wissenschaftler in Utah, der Affen eher als Kapitalanlage hält, zurückgegeben werden muss, fasst Aimee einen tollkühnen Plan. Sie will Sam befreien.
vormagazin: 2020 war hart für uns alle – besonders für Sie als Schriftsteller?
T. C. Boyle: Die permanente Anspannung war natürlich erschöpfend für mich. Mein Sohn hat vergangenen Frühling seine Facharztausbildung in einem der größten Krankenhäuser von L. A. begonnen und war damit gleich an der vordersten Front in der Pandemie, was für uns sehr beunruhigend war – er wurde aber vor kurzem bereits geimpft. Unnötig zu erwähnen, dass die ganze Situation tausendmal verschärft wurde durch das Spektakel des Möchtegern-Diktators im Weißen Haus. Trumps Mangel an Interesse für die Pandemie und seine Inkompetenz haben Tausenden von Menschen das Leben gekostet. Ich persönlich habe das getan, was ich immer mache: früh aufstehen, schreiben, lange Wanderungen am Strand oder in den Bergen, schlafen und den Traum vom reinen Herzen träumen.
Was erwarten Sie von Joe Biden?
Frieden, Normalität und Vernunft.
Wie sind Sie auf die Idee zu „Sprich mit mir“ gekommen?
Als ich in Iowa als Student des Writers’ Workshop war, erfuhr ich, dass Wissenschaftler versuchten, Affen Sprache beizubringen – das hat mich fasziniert. Mein erster Band Kurzgeschichten, von denen ich viele noch als Student geschrieben habe, hieß „Descent of Man“ (Die Abstammung der Menschheit), und die erste Geschichte ist ein absurdes Gespräch zu diesem Thema. Ich bin also Jahre später zu diesem Material zurückgekehrt und habe einen Roman über die Fremdpflege-Experimente in den 70er und 80er Jahren konstruiert, in denen Affen von Menschen aufgezogen wurden, um herauszufinden, wie viel Sprache man ihnen beibringen kann.
Haben Sie persönliche Erlebnisse mit Menschenaffen?
Eine Freundin von mir ist Primatenforscherin. Sie hat mich eingeladen, mit Menschen zu sprechen, die im Zoo von L. A. arbeiten, und mich dort umzusehen. Bei der Schaffung der Figur Sam musste ich mich aber auf meine schriftstellerischen Instinkte verlassen, Sam wurde für mich immer deutlicher, je mehr das Buch anwuchs.
Das geht ja so weit, dass jedes zweite Kapitel aus Sams Sicht erzählt wird …
Der Reiz und die Herausforderung bestand ja gerade darin, in die Rolle eines Schimpansen zu schlüpfen und seine Sicht der Dinge darzulegen.
Die meisten gelehrigen Schimpansen in der Wissenschaft waren Weibchen, Sie haben sich für ein Männchen entschieden – wegen der Beinahe-Lovestory?
Im Unterschied zu unserer Spezies, wo die weiblichen Exemplare viel intelligenter sind als die männlichen, dürfte bei den Schimpansen das Geschlecht in Sachen Intelligenz keine Rolle spielen. Dass Wissenschaftler lieber mit weiblichen Jungtieren arbeiten, dürfte daran liegen, dass sie verträglicher sind – obwohl sie genauso viel Kraft haben und auch gefährlich sein können. Aber für meinen Roman war eine Art Dreiecksbeziehung – der Professor verliebt sich ja auch in die Studentin Aimee – natürlich spannend.
Die Hauptfigur Aimee scheint etwas unentschlossen – will sie ihre innere Leere mit Sam ausgleichen?
Ich verstehe Ihre Interpretation, aber ich teile sie nicht. Aimee ist scheu und unartikuliert – das schien mir in einem Roman über Sprache und Identität sehr passend.
Eines meiner TV-Highlights als Kind war die Serie „Daktari“ mit dem Schimpansen Judy. Was haben Sie als Kind gesehen?
Eigentlich nur Cowboys, Cowboys und wieder Cowboys, Tod durch den Finger am Abzug. Selbst gezüchtete amerikanische Gewalt, was sonst? Sie konnten das im echten Leben sehen, als Trumps Mob das Kapitol stürmte.
Wie wichtig ist Ihnen Tierwohl? Sie sind ja Vegetarier …
Ich bin kein echter Vegetarier, aber ich beschränk
e mich auf Fisch und Putenfleisch – wenn ich denn einmal Fleisch esse, und zwar aus ethischen Gründen. Ich leide mit den Tieren mit – aber natürlich auch mit Menschen. „Sprich mit mir“ soll aufrütteln. Möge Sam uns bezirzen und das Herz brechen!
Angeblich arbeiten Sie schon am nächsten Roman – können Sie uns verraten, worum es gehen wird?
Ich habe gerade die ersten 50 Seiten meines neuen Romans „Blue Skies“ geschrieben, der im Heute beginnt und in der Zukunft meines Romans „Ein Freund der Erde“ weitergeht. Es geht darin um Umweltzerstörung, den Klimakollaps und das Verschwinden anderer Lebewesen.
Info:
„Sprich mit mir“ ist im gut sortierten Buchhandel und online erhältlich, zum Beispiel bei Thalia.