1924 erschien Thomas Manns wohl bekanntester Roman „Der Zauberberg“. Die Geschichte des lungenkranken Hans Castorp gilt zurecht als einer der profiliertesten Romane in deutscher Sprache – ein Jahrhundertbuch und ein Abgesang auf eine Epoche, die mit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs endete.
Der deutsche Autor Norman Ohler hat jetzt ein Buch über Davos geschrieben, das er selbstbewusst „Der Zauberberg, die ganze Geschichte“ nennt und etwas kokett in einer Art Rahmenhandlung als Steuerabschreibprogramm definiert. Er fährt mit Tochter und deren Freundinnen zum Schiurlaub nach Davos, wo er dann tatsächlich über die Geschichte des Ortes recherchiert. Und das ist nicht uninteressant. Ausgerechnet ein deutscher politischer Flüchtling und Arzt begründete den Ruf dieses Ortes, der Mitte des 19. Jahrhunderts noch völlig unbekannt war. Dem Arzt fiel auf, dass hier hoch in den Bergen niemand an der Geisel der Zeit – der Tuberkulose – erkrankt war. Er schaffte es, das erste Sanatorium einzurichten und bald schon kamen vor allem Gutbetuchte, um sich hier zu kurieren. Ein wissenschaftlicher Nachweis fehlte allerdings bis zuletzt. Schließlich wurde bekannt, dass Tbc von einem Bakterium ausgelöst wird. Antibiotika waren allerdings noch nicht erfunden. Ohler zeichnet die Entwicklungsstufen von Davos sehr plastisch nach, denn natürlich reagierten die Ärzte auch auf die neuen medizinischen Erkenntnisse. Nach und nach traten strenge Hygienemaßnahmen in Kraft – man war auf den Weg in eine Gesundheitsdiktatur. Das profitable Geschäft mit den Kranken blieb freilich und so manch Gesunder wurde gleich mitbehandelt. Thomas Manns Begegnung mit einem Davoser Arzt ist bekannt – der Dichter, der ja nur seine Frau besuchte, floh vor der falschen Diagnose und schrieb eben den Zauberberg. Heute ist Davos aber auch durch das Treffen der Superreichen beim World Economic Forum bekannt und unter Verschwörungstheoretikern berüchtigt. Spannend ist auch die Nazi-Geschichte des Ortes. Wilhelm Gustloff baute hier mitten in der Schweiz eine starke NS-Ortsgruppe auf, ehe er von einem jungen Juden erschossen wurde. Hitler hatte seinen ersten Märtyrer…
Während Ohler doch eher ein Sachbuch geschrieben hat, stürzt sich Heinz Strunk in die Literatur. Sein „Zauberberg 2“ spielt allerdings nicht in den Bergen, sondern in eine psychiatrische Klinik im sumpfigen Niemandsland Mecklenburg-Vorpommerns. Dort kommt sein 36 Jahre alter Unternehmer Jonas Heidbrink, um seine Angstzustände zu überwinden. Dabei ist Heidbrink in einer sozial privilegierten Situation – als reich gewordener Start-up-Unternehmer hat er mehr Geld, als er ausgeben kann. In der Klinik trifft er ein Panoptikum heutiger psychisch angeschlagener Bürger, die in diversen Therapien – von Musik, Theater, Physio – behandelt werden, die alle aber in ihrem eigenen existenziellen Saft schwimmen. Das ist eine Zeit lang ganz unterhaltsam, wirklich interessieren können die an der Nähe zur Karikatur angesiedelten Leiden und Figuren aber nicht. Die philosophischen Dispute in Manns Zauberberg verkommen zur Brabbelei. Ausgerechnet ein 80-jähriger, der sich zu seinem Geburtstag mit Hochprozentigem ins Koma säuft, kann da am ehesten noch mithalten.
Norman Ohler: Der Zauberberg, die ganze Geschichte
Diogenes, 274 Seiten, € 25
Heinz Strunk: Zauberberg 2
Rowohlt, 228 Seiten, € 25