Man glaubt ja immer, heutzutage laufe das Internet und alles, was daran hängt, längst über Satelliten. Ein Irrtum, denn weit mehr als 90 Prozent des transkontinentalen Datenaustausches – von Telefonaten übers Internet bis hin zu Finanztransaktionen – funktionieren über Unterseekabel. Davon gibt es derzeit 1,48 Millionen Kilometer. Wenn eines dieser überraschend dünnen – nur 4 Zentimeter dicken – Glasfaserkabeln ausfällt, rücken spezielle Schiffe zur Reparatur aus, um sie wieder zu flicken. Um eine solche Aktion und natürlich um noch viel mehr geht es im neuen Roman des inzwischen in New York lebenden irischen Autors Colum McCann, der damit wiederum beweist, dass er zur absolut ersten Riege der lebenden Schriftsteller gehört.

In „Twist“ sind wir im Kopf des gescheiterten Schriftstellers Anthony Fennell, der eine Reportage – 10.000 Zeichen – über die Reparatur eines Kabelbruchs in der Tiefsee schreiben soll und der in Kapstadt mit dem Einsatzleiter John Conway zusammentrifft. Beide sind Iren, die schon in verschiedenen Regionen der Welt gelebt haben. Fennell lernt auch Zanele ,die ungewöhnlich hübsche Frau Conways, die aus den Townships stammt und als Schauspielerin eine Beckett-Aufführung in England vorbereitet, kennen.
McCanns Figuren sind freilich maximal vielschichtig, der Erzähler hat eine gescheiterte Ehe hinter sich, einen Sohn, den er fast nie besucht, und er ist Alkoholiker. Die Fahrt auf dem Reparaturschiff nützt er als Entzug, denn an Bord ist Alkohol verboten. Conway wird im Laufe des Romans immer mysteriöser, seine Verbindung mit Zanele brüchig. Irgendetwas treibt den betont selbstkontrolliert wirkenden Mann an, dessen größte Leidenschaft das Apnoetauchen ist. Wir erleben schließlich, wie zwei Kabel geflickt werden – ein höchst komplexer Vorgang, der eine perfekt eingespielte international besetzte Mannschaft erfordert. McCann hat zweifelsohne gut recherchiert. Doch bevor das dritte Kabel vor der Küste Ghanas – die einfachste Operation – ausgeführt wird, verschwindet Conway plötzlich und Fennell strandet in Accra, wo er die schrecklichen Auswirkungen der Globalisierung und des Kolonialismus erleben muss.
Fennell spricht es selbst an: Die Geschichte Conways scheint eine weitere Adaption von Joseph Conrads „Herz der Finsternis“, der Erzähler beschreibt genau die Eingangsszene in Coppolas Verfilmung „Apocalypse Now“, in der der Schauspieler Martin Sheen in real einen Spiegel mit der bloßen Faust zertrümmert. Der finale Twist Conways soll hier aber nicht verraten werden. Nach dem grandiosen Buch über den Nahostkonflikt aus der Sicht der Opfer – „Apeirogon“ – ist McCann wieder ein Roman gelungen, der zentrale Fragen unserer heutigen Welt stellt. Unsere Existenz baut zunehmend auf fragile technische Lösungen, während wir für unsere persönlichen Bindungen kaum mehr Worte oder Gesten finden. Ein Buch, das sehr lange nachhallt.

Colum McCann: Twist
Aus dem Englischen von Thomas Überhoff
Rowohlt
414 Seiten
€ 29,50